Arthur Schopenhauer und die besondere Zahl Vier

  • Von Michael Crass
  • 12. Januar 2019

Man mag der Zahl Vier leicht eine große Bedeutung zusprechen, wenn man die Gliedmaßen bei Pudeln, Menschen und anderen Säugetieren zählt, wenn man außerhalb von Mainz und Köln die Jahreszeiten durchgeht, oder auch als Fan des Skisprungsports, der Apokalyptischen Reiter, der Evangelisten, der Erzengel, des Buddhismus (edle Wahrheiten) oder der Mondphasen. Die Zahl Vier taucht oft in der Kultur und in der von Menschen beschriebenen und katalogisierten Natur auf. Nicht anders ist es allerdings auch mit vielen anderen Zahlen: Die Zahl Drei ist die Zahl aller guten Dinge, die Zahl der Trinität des Christengottes, die Anzahl der Herrscher in einigen polytheistischen Religionen (Isis, Osiris und Horus vs. Zeus, Poseidon und Hades) und auch die Zahl Hegels. Jede Zahl die häufig in Gebrauch ist, also niedrige natürliche Zahlen beispielsweise, hat viele Bedeutungen und Verwendungen gefunden. Die Vier ist also für die Menschheit keine besondere Zahl. Wohl aber für Arthur Schopenhauer ...

Vier Arten von in Raum und Zeit erscheinende Wesen

Im März 1820 hielt Arthur Schopenhauer eine Probevorlesung in Berlin. Dabei führte er auf, welche verschiedene raumzeitliche Dinge gibt: leblose Körper, Pflanzen, Tiere und Menschen.

"zur Sonderung aller in Raum und Zeit erscheinenden Wesen selbst in vier Klassen: [...] daß die Art der Ursachen nach denen eine jede von ihnen sich bewegt, eben das am meisten karakteristische, tiefeingreifendeste und wesentlichste Merkmal ihrer Sonderung abgiebt und nirgends eine Ausnahme leidet: die vier Klassen die ich meyne, [sind]: leblose Körper, Pflanzen, Thiere und Menschen." (Deu-IX:7 f.)

Diese Unterscheidung ist nicht besonders künstlich, auch nicht außergewöhnlich. Noch heute wird zwischen der unbelebten und der belebten Natur unterschieden, und ebenso wird ein großer Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren gemacht. Auch wird heute nicht sonderlich oft zwischen nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren unterschieden, sondern eben zwischen Tieren und Menschen. Probleme müsste Schopenhauer allerdings haben, wenn er in diese Vierheit noch Bakterien oder Pilze einsortieren müsste.

Vier Arten von Ursachen

Die vier Arten von in Raum und Zeit erscheinenden Wesen unterscheiden sich nach Schopenhauer besonders durch die Art und Weise wie sie in Bewegung gesetzt werden. Je höher die Klasse eines Dings ist, desto höhere Arten von Ursachen (be-) treffen das Ding.

Eine Ursache im engeren Sinn zeichnet sich durch die berechenbare Verhältnismäßigkeit und Gleichmäßigkeit von Ursache und Wirkung aus. Diese erste Art von Ursachen betrifft Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen. In der unorganischen Welt gilt, so Schopenhauer, der Naturwissenschaften in Göttingen studiert hatte, dass physikalischen Gesetzen gemäß, die Wirkung sich in dem Maß erhöht, in dem die Ursache erhöht wird. Das gilt beim Erwärmen von Wasser, wie auch bei einer Krafteinwirkung auf einen Gegenstand. Wenn dies kontraintuitiv einleuchtet, so gibt Schopenhauer zu bedenken, dass die Verhältnismäßigkeit nicht sichtbar sein muss:

"In eben dem Maaße, in welchem die Ursache verstärkt wird, wird auch allemal die Wirkung zunehmen, folglich auch wieder die Gegenwirkung; so daß wenn nur ein Mal die Wirkungsart bekannt ist, sofort aus dem Grade der Intensität der Ursache auch der Grad der Wirkung sich wissen, messen und berechnen läßt, und so auch umgekehrt. Dieses ist schon metaphysisch wahr und sonach a priori einzusehen: jedoch wenn man es physisch nimmt, muß es cum grano salis verstanden werden, damit man nicht etwa die Wirkung verwechsele mit ihrer augenfälligen Erscheinung: z.B. man darf nicht erwarten, daß bei der Zusammendrückung eines Körpers immerfort sein Umfang abnehme, in dem Verhältniß als die Zusammendrückende Kraft zunimmt. Denn der Raum, in den man den Körper zwängt, nimmt immer ab, folglich der Widerstand zu; und wenn nun gleich auch hier die eigentliche Wirkung welche die Verdichtung ist, wirklich nach Maasgabe der Urs[ache] wächst, wie das Mariottesche Gesetz besagt, so ist dies doch nicht von jener ihrer augenfälligen Erscheinung zu verstehn." (Deu-IX:8 f.)

Die zweite Art von Ursachen ist der Reiz. Dieser betrifft nicht die unbelebte Natur, wohl aber die ganze belebte Natur mit Pflanzen, Tieren und Menschen. Hier gilt die Gleichmäßigkeit im Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung, die bspw. in der Mechanik gilt, nicht: Eine Pflanze reagiert mit Wachstum auf ein wenig Wasser, vielleicht auch erst ab einer höheren Menge, aber irgendwann kann man den Punkt erreichen, bei dem ein mehr an Wasser nicht zu einem mehr an Wachstum führt und sogar kontraproduktiv werden kann. Reize bringen Wirkungen in Pflanzen, Tieren und Menschen hervor, aber nicht in einem Stein.

"Ich nenne Reiz diejenige Ursache, welche erstlich selbst keine mit ihrer Einwirkung im Verhältniß stehende Gegenwirkung erleidet; und zweitens zwischen deren Intensität und der Intensität der Wirkung durchaus kein[e] Gleichmäßigkeit statt findet: folglich kann hier nicht der Grad der Wirkung gemessen und vorher bestimmt werden, nach dem Grade der Ursach: vielmehr kann eine kleine Vermehrung des Reizes eine sehr große der Wirkung verursachen, oder auch umgekehrt die vorige Wirkung ganz aufheben, ja eine entgegengesetzte herbeiführen. Z.B. Pflanzen können bekanntlich durch Wärme oder der Erde beigemischte[n] Kalk zu einem außerordentlich schnellen Wachstum getrieben werden, indem jene Ursachen als Reize ihrer Lebenskraft wirken: wird jedoch hiebei der Grad des Reizes um ein weniges überschritten, so wird der Erfolg statt des erhöhten und beschleunigten Lebens, der Tod der Pflanze seyn. Ferner können wir durch Wein oder Opium unsre Geisteskräfte anspannen und beträchtlich erhöhen: wird aber das Maas des Reizes überschritten; so wird der Erfolg grade der entgegengesetzte seyn." (Deu-IX:10 f.)

Die dritte Art von Ursachen ist das Motiv, welches weder die unbelebte Natur noch die Pflanzenwelt bekümmern kann. Motive haben nur Tiere und Menschen. Um Motive für Bewegungen oder Handlungen haben zu können, bedarf es eines Vorstellungsvermögens, welches eben nur Menschen und nichtmenschliche Tiere haben:

"Deshalb tritt bei Wesen dieser Art, an die Stelle der bloßen Empfänglichkeit für Reize und der Bewegung auf solche, die Empfänglichkeit für Motive d.h. ein Vorstellungsvermögen, Intellekt (in unzähligen Graden der Vollkommenheit), materiell sich darstellend als Nervensystem und Gehirn; und eben damit das Bewußtseyn. Daß dem thierischen Leben ein Pflanzenleben zur Basis dient, welches eben nur auf Reize vor sich geht, ist bekannt. Aber alle die Bewegungen, welche das Thier als Thier vornimmt, und welche eben deshalb von dem abhängen was die Physiologie animalische Funktio[nen] nennt, geschehn in Folge eines erkannten Objekts, also auf Motive" (Deu-IX:11 f.)

Da der gemeine Mensch im Vergleich zum Tier nicht nur den Verstand, sondern auch Vernunft hat, hat er auch andere Arten von Motiven. Er kann nämlich als einziges Tier abstrakte (begriffliche) Motive als vierte Ursache haben, welche also nicht bloß anschaulich (wie ein Frankfurter Würstchen dem Pudel) sind. Darüber hinaus muss der Mensch seine Motive nicht nur aus der Gegenwart nehmen, sondern kann sich auch der Erinnerungen bedienen, die nach Schopenhauer (mehr oder weniger) rein menschlich sind.

"Das Wesen, dessen Handlungen nicht durch anschauliche, sondern durch abstrakte Motive bestimmt werden - ist ein Mensch. Sind die Motive welche das Handeln eines menschlichen Individuums leiten, solche Vorstellungen der Vernunft, also Begriffe; so fällt sein Handeln besonnen und bedacht aus und bleibt ganz unabhängig vom Eindruck der Gegenwart: ein solches Handeln haben alle Zeiten und alle Völker, auch alle Philosophen, nur nicht die neu[e]sten, ein vernünftiges Handeln genannt, ganz unabhängig von dessen moralischem Werth oder Unwerth: da vernünftig handeln und edel oder gut handeln; eben so unvernünftig handeln und boshaft handeln stets als zwei ganz verschiedene Dinge angesehn wurden. Sind nun aber die Motive des Handelns nicht die gedachten Vorstellungen, die Begriffe; sondern die anschaulichen, der Eindruck des Augenblicks; dann wird der Mensch gleich dem Thiere der Sklave der Gegenwart und ein Handeln dieser Art nannte man allezeit unvernünftig, ohne es dadurch im mindesten für boshaft zu erklären. Wie also der Verstand nur eine einzige Funktion hatte: Erkenntniß der Kausalität; so hat auch die Vernunft nur eine Funktion: Bildung des Begriffs und Verknüpfung von Begriffen, d.h. Denken, Wissen, Reflexion: und aus dieser ist alles abzuleiten, was von jeher als Aeußerung der Vernunft erkannt wurde." (Deu-IX:23 ff.)

Den Menschen als Vertreter der höchsten Klasse der raumzeitlichen Dinge betreffen also die abstrakten wie die anschaulichen Motive, dazu auch die Reize und die physikalischen Ursachen. Je höher die Art der Ursache ist, desto größer ist auch die Distanz zwischen Ursache und Wirkung: Der Unterschied zwischen dem Stein, der angestoßen wird und die Ursache unmittelbar erfährt, und dem durchs Gießen angestoßene Wachstumsprozess bei der Pflanze, ist groß. Ebenso ist der Unterschied zwischen dem der menschlichen Nahrungsaufnahme geschuldeten Körperwachstum und dem von weiblichen Reizen triebgesteuerten männlichen Verhalten durchaus groß. Die Distanz zwischen Ursache und Wirkung kann mittels der Wirkung von Vorstellungen aus der Vergangenheit (Erinnerung) auf gegenwärtiges Benehmen zeitlich noch größer sein.

vier Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grund

Arthur Schopenhauers Dissertation, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, widmet sich allen Fällen, in dem man "Warum?" fragen kann. Der Satz vom zureichenden Grund lautet: „Nichts ist ohne Grund warum es sey.“ (Deu-III:7)

Nach Schopenhauer gibt es vier grundverschiedene Klassen von Objekten, die unter diesen Satz vom zureichenden Grund fallen. In der ersten Klasse geht es um die Vorstellungen in Raum und Zeit, die kausal miteinander verknüpft sind. In dieser Klasse findet sich so auch der Zusammenhang zwischen dem Erwärmen eines Steines und den dafür ursächlichen Sonnenstrahlen und der physikalischen Voraussetzung des Steines, warm werden zu können. Das erste "Warum?" fragt also nach Ursachen von Wirkungen.

Das "Warum" der zweiten Klasse verknüpft Begriffe miteinander. Es geht darum, warum Urteile wahr sind. Das Urteil "Alle Pariser sind Franzosen." könnte man mit den drei Aussagen

  • "Wer in Frankreich geboren wurde, ist Franzose.",
  • "Pariser ist, wer in Paris geboren wurde." und
  • "Paris liegt in Frankreich."

verknüpfen und so auf ein "Warum?" antworten. Allerdings darf man jeder weiteren Aussagen wiederum mit einem "Warum?" begegnen und eine scheinbar nie enden wollenden Kette fordern, um dann wohl bloß bei dem Münchhausen-Trilemma zu landen.

Schopenhauers dritte Klasse betrifft die "reinen Anschauungen von Raum und Zeit, die Mathematik und die Geometrie." In dieser Klasse fragt man nach den notwendigen Beziehungen zwischen Punkten, Winkeln und Ähnlichem in der Geometrie und ihren Gesetzmäßigkeiten.

Die vierte Klasse ist eine besondere. Sie betrifft die Kausalität "von innen", wie er in der zweiten Auflage (!) der Dissertation schreibt. In der ersten Auflage seiner Dissertation beschreibt Schopenhauer 1813 die Objekte dieser Klasse als eine eigenständige, während er sie 1847 zwar als eigenständige, vierte, Klasse behält, aber der ersten Klasse unterordnet. Vielleicht wollte Schopenhauer seine Vierheit beibehalten. In dieser Klasse geht es um die Motive, die Schopenhauer bei den Ursachen zweigeteilt hatte und somit dort seine vier Ursachen erhielt (Ursache, Reiz, Verstandsmotiv und Vernunftsmotiv). Fragt man in dieser Klasse nach dem "Warum?", so erhält man die Ursache von Handlungen. Man bleibt im Bett morgens gerne etwas länger liegen, weil man müde ist; und dann steht man vielleicht doch auf, weil die Toilette ruft ...

vier Elemente

Die Lehre von unteilbaren Teilchen (Atomen) ist zwar ca. 2.500 Jahre alt, doch war die Idee von den vier Elementen auch im 19. Jahrhundert noch nicht ganz vom Tisch, da es erst zu dieser Zeit zu ersten experimentellen Bestätigungen kam. So spricht also auch Schopenhauer noch 1859 von vier Elementen. (Deu-II:31)

Tetragamie

Bedauerlicherweise erscheint Arthur Schopenhauer oftmals bloß als ein Mensch, der wenig Gutes über Frauen zu sagen hatte und sie schlecht behandelte. Dass er viel Schlechtes über Frauen zu sagen wusste, bezeugt das 27. Kapitel der Parerga und ParalipomenaUeber die Weiber mit bereits häufig zitierten Stellen über dieses Geschlecht. Auch seine Biographen haben genug Material für diese Perspektive gefunden: Er warf die Frau Marquet unsanft aus dem Haus; er forderte von seiner Geliebten, Caroline Médon, ihren neun-jährigen Sohn bei einem Umzug nach Frankfurt in Berlin zurückzulassen; er wollte sich nicht um seine finanziell sehr viel schlechter gestellte Schwester kümmern; er hatte seine Mutter stets bevormunden wollen; und er zeugte zweimal, in Dresden und Frankfurt, uneheliche Töchter, die allerdings frühzeitig sterben. Dennoch hatte Schopenhauer sich auch um das weibliche Geschlecht und seine Bedürfnisse gesorgt:

Schopenhauer muss schon in seinen Berliner Jahren leidvoll festgestellt haben, dass junge Frauen nicht nur fähig seien, mehrere Männer zu beglücken, sondern auch entsprechende Bedürfnisse haben.

"Was dem Weibe an Dauer der Geschlechtstauglichkeit abgeht, hat es wieder an Maaß derselben voraus: es ist fähig 2 bis 3 tüchtige Männer zu gleicher Zeit zu befriedigen, ohne zu leiden. In der Monogamie benutzt es nur die Hälfte seiner Fähigkeit und befriedigt nur die Hälfte seiner Wünsche." (HNIII:161)

Ein Mann alleine würde einer jungen Frau nicht gerecht, die Monogamie sei nichts für sie. Im Alter aber würde eine Frau dem Manne nicht mehr gerecht, da sie dann "verblüht" sei, während ein Mann noch im Alter noch zeugungsfähig und in diesem Sinne willig sei. Ein alter Mann würde also mit einer alten Frau nicht glücklich und bliebe bei höchst dringenden Bedürfnissen unbefriedigt. Schopenhauer löst dieses Problem der Natur wie ein Kaufmann, zu dem er ausgebildet worden war:

"Soll nun dies Verhältniß nach bloßer physischer Rücksicht (und es gilt ein physisches höchst dringendes Bedürfniß) geordnet und bestmöglichst ausgeglichen werden: so müssen 2 Männer stets ein Weib zusammenhaben: die sie beide jung nehmen: nachdem diese verblüht ist, nehmen sie eine 2te eben so junge dazu, welche dann ausreicht bis beide Männer alt sind. Beide Weiber sind versorgt und jeder Mann hat nur die Sorge für Eine. In der Monogamie hat der Mann auf ein Mal zu viel und auf die Dauer zu wenig; und das Weib umgekehrt." (HNIII:162)

Damit wäre auch die ökonomische Belastung einer Frau, die für einen jungen Mann zu groß scheint, durch zwei geteilt, während ein älterer Mann, der im Normalfall finanziell besser gestellt wäre, im Alter auch für eine Frau aufzukommen hätte. Dass der junge Schopenhauer sich überhaupt solche Gedanken machen musste, liegt für ihn an der Natur, unter der Männer und ebenso Frauen zu leiden haben:

"Wie gesagt: Die Natur hat das Verhältniß schlecht angelegt: Man wird es daher nie ohne üble Umstände einrichten. So wie es jetzt ist, streiten Pflicht und Natur unablässig. Dem Manne ist es unmöglich den Geschlechtstrieb von seinem Entstehn bis zu seinem Ende auf eine legale Art zu befriedigen. Es sei denn daß er jung Witwer würde. Dem Weibe ist die Beschränktheit auf einen Mann, die kurze Zeit ihrer Blüthe und Tauglichkeit hindurch, ein unnatürlicher Zustand. Sie soll für Einen bewahren was er nicht brauchen kann und was viele Andre von ihr begehren: und sie soll selbst bei diesem Versagen entbehren. Man ermesse es! Besonders da noch hinzukommt, daß zu jeder Zeit die Zahl der zum Beischlaf tüchtigen Männer die doppelte ist der dazu tauglichen Weiber, weshalb jedes Weib beständig Anfechtungen findet, ja schon von selbst diesen entgegensieht, sobald ein Mann ihr nahe kommt." (HNIII:162 ff.)

vier Arten von Wahrheit

Im fünften Kapitel der Dissertation (1847) behandelt Schopenhauer die Begriffe und Urteile als zweite Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In diesem Kapitel nennt er vier Arten von Wahrheit: logische, empirische, transscendentale und metalogische Wahrheit. (Deu-III:214 ff.)

Wenn ein Urteil (eine atomare Aussage) ein anderes zum Grund, also als Antwort auf das "Warum?" hat, ist seine Wahrheit eine logische Wahrheit. Damit fällt das logische Schließen unter die logische Wahrheit. Wenn die Antwort auf die Frage nach dem Grund für ein Urteil empirisch ist, also auf raumzeitliche Gegenstände verweist, handelt es sich um empirische Wahrheit. Das erfordert bspw. die mit dem Blick aus dem Fenster beantwortete Frage nach dem gegenwärtigen Wetter. Die transscendentale Wahrheit behandelt die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung als Gründe. Darunter fallen alle a priori wahren Urteile, wie auch die mathematischen, geometrischen und der Satz vom zureichenden Grunde, "Nichts geschieht ohne Ursache." Diese dritte Art von Wahrheit scheint in Teilen besser der logischen oder metalogischen Wahrheit zuzuordnen zu sein. Die vierte Wahrheit ist die metalogische, zu welcher die wiederum vier logischen Axiome zählen, die wir nicht oder nur selten hinterfragen, aber ohne welche wir beim logischen schließen nicht vorankämen:

"1) Ein Subjekt ist gleich der Summe seiner Prädikate, oder a=a. 2) Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden, oder a=-a=0. 3) Von jeden zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten muß jedem Subjekt eines zukommen. 4) Die Wahrheit ist die Beziehung eines Urtheils auf etwas außer ihm, als seinen zureichenden Grund." (Deu-III:217)

Fazit

An mehreren Stellen hatte Schopenhauer sichtliche Schwierigkeiten, seine Vier aufrechtzuerhalten. Sicher war ihm die Vier nicht so wichtig, als dass er versucht hätte aus den klassischen fünf Sinnen vier zu machen oder bei anderen Themen künstlich eine Vierheit zu konstruieren. Dennoch hatte er mindestens bei zwei Sachverhalten Probleme: Zum einen ist es nicht komplett nachvollziehbar, warum er vier verschiedene Ursachenklassen braucht und künstlich zwischen den anschaulichen und den abstrakten, rein menschlichen, Motiven unterscheiden musste. Zum anderen gibt Schopenhauer in der zweiten Auflage seiner Dissertationsschrift zu, dass seine vierte Klasse eigentlich bloß die erste in der Innenschau ist. Dies ist, wenn man seine Vierheit der Ursachen, also Ursache im engeren Sinne, Reiz und die zwei Motivarten, betrachtet, die nämlich alle zur Kausalität in die Raumzeit gehören, ein notwendiger Schritt. Wohl aus ästhetischen Gründen oder mangels hinreichend großem Motiv unterlässt er die notwendige Umstrukturierung der Vier Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grunde in die Drei Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grunde. Vielleicht spielt hier aber auch eine Rolle, dass die Drei enger mit Hegel assoziiert wird. Die Tetragamie hingegen scheint weniger der Vernarrtheit in die Vier geschuldet zu sein als vielmehr einer simplen kaufmännischen Rechnung, bei der das gute Ergebnis der Aufteilung der sexuellen und ökonomischen Ressourcen eben eine Vier ist.

(Als kleine Ergänzung zur Zahl Vier bei Schopenhauer (bzw. vor ihm Heinrich Cornelius, genannt Agrippa von Nettesheim) hilft dieses Buch weiter: Schopenhauers existentielle Metaphern im Kontext seiner Philosophie von Matthias Rühl aus dem Jahr 1998 (ab S. 11))


Literatur: Schopenhauer-Gesamtausgabe von Paul Deussen (1911). Arthur Schopenhauer, Handschriftlicher Nachlass, herausgegeben von Arthur Hübscher.

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