Was ist ein Atheist?
Einige Menschen meinen, es sei klüger, sich als Agnostiker zu bezeichnen anstatt den Begriff "Atheist" zu wählen, da sie nicht behaupten wollen, es gebe keinen Gott. Aber wieso sollte "Atheismus" bedeuten, dass es keinen Gott gibt?
Starker Atheismus
Menschen wie Richard Dawkins kann man spätestens mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delusion") als Atheisten bezeichnen, in dem starken Sinne wie er es schreibt: "Warum es mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt". Er glaubt also, dass es keinen Gott gibt. Oder: Er glaubt an die Nichtexistenz des christlichen Gottes, wie auch an die Nichtexistenz des jüdischen Gottes. Ebenso glaubt er, dass es die nordischen Götter oder alle möglichen afrikanischen oder südamerikanischen Stammesgötter nicht gibt. Dazu steht er zu 99,99%: "mit ziemlicher Sicherheit".
Diese starke Aussage könnte natürlich noch stärker sein, in dem man sagt, dass es zu 100% keinen Gott oder übernatürliches Wesen gibt. Am aller stärksten wäre es wohl, wenn man sagt, dass es unmöglich ist, dass es in unserer Welt Übernatürliches gibt. Doch so weit geht weder Dawkins noch Michael Schmidt-Salomon oder andere bekannte Atheisten.
Klar ist aber, dass sich diese Menschen als Atheisten bezeichnen - und auch von anderen so bezeichnet werden.
Schwacher Atheismus
Anders verhält es sich mit den Atheisten, die von beiden folgenden Sätzen nur den zweiten unterschreiben würden:
- Ich glaube, dass Gott nicht existiert.
- Ich glaube nicht, dass Gott existiert.
Dawkins würde den ersten Satz unterschreiben und wäre im engeren Sinne ein Atheist. Sehr viele Menschen würden sich nicht als Atheisten bezeichnen und doch den zweiten Satz unterschreiben. Im Alltag - und vielleicht auch in Momenten andächtiger Stille - glauben sie nicht an einen Gott, besonders nicht an einen personalen Gott. Vielleicht glauben sie an eine "höhere Kraft" oder auch nur daran, dass der Mensch Grenzen hat und stellen sich etwas größeres vor. Doch mit welchem Recht sollte man sie zu den Theisten zählen, also jenen, die an etwas glauben?
Label und Genossen: Agnostizismus und weitere Spielarten des Atheismus
Den Atheismus stellt man gerne dem Monotheismus entgegen:
- Der Eine glaubt, dass es einen Gott gibt, und
- der Andere glaubt, dass es keinen Gott gibt.
Wie nun schon herausgestellt, gibt es noch die Variante, dass jemand sich nicht zu einer der beiden Aussagen hinreißen lässt, und einfach an nichts glaubt (nicht an das Nichts!). Natürlich gibt es auch agnostische Varianten, beispielsweise zu glauben, dass es prinzipiell unmöglich ist, abschließend etwas über die großen metaphysischen Fragen zu wissen (also: Gibt es Geistiges? Gibt es Götter Warum gibt es überhaupt etwas? Was gibt es?).
Wenn man bloß den Monotheismen etwas entgegenstellen will, so gibt es noch den Pantheismus, den Polytheismus und weitere Formen der Religiosität oder Weltanschauungen, die wenigstens von der katholischen Kirche über Jahrhunderte als "Atheismus" verfolgt wurden. In diesem Kontext gab es also bloß Atheisten und Katholiken (andere Monotheisten waren in diesem Sinne auch ungläubig).
Vielleicht hat der Atheismus dasselbe Problem wie der Feminismus: Bezeichnet man sich als Feminist, steht man in der Ecke, in der auch Alice Schwarzer steht. Die Assoziationen, die dieser Begriff weckt, sind zum einen "Kampf", zum anderen "Frauenrechte" und wohl auch (stets weibliche) Personen wie Alice Schwarzer. Ein positives Label mit der Assoziation "Gleichberechtigung" wäre hilfreicher. Moderne Feministen, männlich wie weiblich, haben natürlich eine Definition parat wie "Feminismus bedeutet: gleiche Chancen und Rechte für beide Geschlechter" oder sogar "Feminismus bedeutet: gleiche Chancen und Rechte für alle Geschlechter". Doch sind es die Assoziationen des mit dem "Femininen" verknüpften Begriffs "Feminismus", die es schwierig machen, sich zu diesen Definitionen zu bekennen.
Und so verknüpft man den Atheismus wohl auch mit Dawkins in den USA oder mit Schmidt-Salomon in Deutschland und dem vermeintlich "militanten" Element dieses starken Atheismus, der eigentlich keiner ist: Niemand würde wohl sagen, dass es mit absoluter Gewissheit keinen Gott gibt, sondern höchstens in der juristisch prominenten Variante: "dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott gibt" oder "There’s probably no god" von der englischen Buskampagne.
Wer sich von diesem Atheismus abgrenzen will, nennt sich nicht einfach "Atheist im schwachen/weiteren Sinn", sondern "Agnostiker" und meint (in den meisten Fällen) wohl dasselbe: "Im Alltag glaube ich an keinen personalen Gott; ich glaube nicht, dass ich die Nichtexistenz von Übernatürlichem beweisen kann, aber es ist eine plausible oder wenigstens prämissen-ärmere These."
Atheist in Bezug auf ...
Gerne verwenden einige der "starken" Atheisten auch die Differenzierung "Atheist in Bezug auf xy". Sie weisen richtigerweise darauf hin, dass die Menschen, die mit dem Label "Agnostizismus" auf ihre Unsicherheit in Bezug auf einen personalen Schöpfergott hinweisen, dies nicht bei anderen Fabelwesen wie etwa Pumuckl oder der Zahnfee machen. Die allerwenigsten werden sich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass sie sich bei der Existenz von Pumuckl unsicher sind, obwohl die Beweisbarkeit seiner Nichtexistenz - mit oder ohne Leim - wohl nicht einfacher sein dürfte als die eines personalen Schöpfergottes. Begrifflich ist das natürlich schwierig, da man sinnvollerweise nicht sagen dürfte, dass man "nicht-religiös in Bezug auf eine fragliche Entität" ist. Entweder ist man religiös oder nicht. Ein wichtiger Beitrag ist der Vergleich zwischen den diversen fraglichen Wesen und dem eigenen Umgang mit ihnen allerdings schon: Er macht klar, wo das Differenzieren aus kulturellen Gründen unterblieb.
Fazit
Das wichtigste am Atheismus und der Einordnung von Menschen unter diesen Begriff ist die Unterscheidung zwischen dem Atheismus im engeren und weiteren Sinn: Glaubt man nicht an einen Gott oder glaubt man an die Nichtexistenz eines Gottes? Wählt man die starke oder schwache Form?
Nicht vernachlässigen sollte man bei diesem Problem wohl auch die mitschwingenden Assoziationen. Will man in die Schublade dieser oder jener Menschen gesteckt werden? Soll ein Mitmensch denken, man sei ein plumper ungläubiger, vielleicht intoleranter, militanter Atheist oder ein toleranter Mensch mit dem (noch!) ausgefalleneren Label des Agnostizismus?