Warum man vom Intelligenzquotienten (IQ) nicht so viel halten sollte

Wer "IQ Test" googelt, findet viele Millionen Angebote, den eigenen Intelligenzquotienten zu erfahren. Auch vermeintlich seriöse Webseiten wie sueddeutsche.de oder mensa.de bieten Tests an. Die Bedeutung solcher Tests bzw. des Getesteten muss also gewaltig sein. Doch was wird getestet und wie bedeutend sollte ein Ergebnis einem Getesteten sein?

Warum es IQ-Tests gibt

Natürlich kann es kaum ein gutes Argument sein, wenn man über die Vergangenheit einer Sache zu begründen versucht, warum sie in der Gegenwart keinen Nutzen haben kann. Allerdings kann man mit den Gründen für die Entwicklung von IQ-Tests erklären, warum sie noch heute schlecht sind – oder eben wenig nützlich. Auch eine moralische Kategorie kann man so aufmachen.

Neben dem Interesse daran, wieso manche Menschen erfolgreich sind und warum erfolgreiche Menschen häufig erfolgreiche Verwandte haben, war das große Ziel der ersten IQ-Tests, Kinder frühzeitig verschiedenen Schulformen zuzuordnen. Wenig intelligente Kinder sollten frühzeitig gefunden und Förderschulen zugewiesen werden.

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1945 war es in Europa und in den USA unter Intellektuellen kein Tabu, von Zwangssterilisationen bei Menschen mit "angeborenem Schwachsinn" zu reden. Es wurde sogar vielfach Praxis. Eine Gesellschaft mit einem Wirtschaftssystem, in dem Menschen in einem brutalen Wettbewerb zueinander stehen, muss es nicht bedenkenswert finden, wenn man eine aktive Bevölkerungspolitik zugunsten "Intelligenter" betreibt. So versuchte man vermeintlich Dumme von Bildung fernzuhalten. Es ist natürlich nicht notwendig, zu erwähnen, dass besonders zu dieser Zeit von der Erblichkeit der Intelligenz ausgegangen wurde.

Mit IQ-Tests konnte man Armen Rechte nehmen: Nicht nur das Recht, Nachkommen in die Welt zu setzen, sondern auch das Wahlrecht stand infrage. Die Gesellschaft und der Mensch an sich sollte mithilfe von IQ-Tests weiterentwickelt bzw. gezüchtet werden.

Was IQ-Tests liefern

Der Physikneid hat nicht nur Soziologie, Volkswirtschaftslehre und einige andere Geisteswissenschaften im Griff, sondern auch die Psychologie, die sich wie die Geographie auch als eine Naturwissenschaft sieht. Der Anspruch aller Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften, ist es, Quantitatives zu liefern. Man will Zahlen haben. So will auch die Intelligenzforschung Zahlen liefern, am besten eine – besondere – Zahl, die wunderbar mit anderen Größen korreliert. Und: Sie schafft es. IQ-Tests liefern große und scheinbar bedeutende Zahlen.

Linda Gottfredson lieferte beispielsweise in den 80er-Jahren Normalverteilungskurven von Intelligenz in der schwarzen und weißen Bevölkerung in den USA und ordnete sie Berufsmöglichkeiten zu. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Weiße intelligenter sind als Schwarze. Dabei zeigte sie als berufliche Möglichkeiten für Menschen mit einem IQ von 130 ein Dasein als Anwalt oder Chemiker, während durchschnittlich Intelligente Polizisten oder Verkäufer sein könnten und Menschen mit einem IQ von 80 eher als Krankenschwester oder Fast-Food Hilfskraft vorzufinden wären.

Die bedeutende Maßzahl, mit der man Berufe assoziieren will, soll aussagen, ob ein Mensch intelligent ist. Auf eine gute, d.h. präzise und nützliche Definition können sich Psychologen nicht einigen, allerdings handelt es sich im Kern um die Fähigkeit eines Menschen, bislang unbekannte Probleme zu lösen. Das wirft natürlich einige Probleme bei Testungen auf: Wie kann man unbekannte Probleme mit bekannten Tests schaffen? IQ-Tests sind im europäischen Kulturraum mittlerweile mehr als bekannt. Typische Fragestellungen kennt man - und man kann sie trainieren. Wer IQ-Test-Aufgaben trainiert, kann einige Punkte innerhalb von zwei Wochen Training gewinnen. Ein anderes Problem sind die Paradigmen, die der Kultur zugrundeliegen, aus der ein Test kommt. So zeigte Patricia Greenfield, dass es einige typische Aufgaben westlicher IQ-Tests gibt, die Lösungen als "intelligent" darstellen, mit denen man in manchen afrikanischen Stammesgesellschaften sich als Narr präsentieren würde. Intelligenz ist nicht objektiv bestimmbar, sie hat einen kulturellen (und sozialen) Hintergrund. Es gibt zwar Versuche, kultur-faire Tests zu entwickeln, was jedoch kaum objektiv messbar sein kann.

Wenn Intelligenz subjektiv ist, wie kann dann der IQ selbst objektiv sein? Das ist natürlich nicht der Anspruch. Es braucht nicht unbedingt einen objektiven Wert. Der IQ, wie man ihn hierzulande kennt, ist ein Abweichungsintelligenzquotient. Man erhält eine Zahl, die das eigene Abschneiden beim Test relativ zur eigenen Altersgruppe darstellt. Dabei ist der Mittelwert der Referenzgruppe ein IQ von 100 mit einer Standardabweichung von 15. Etwa 70% der Menschen haben also einen IQ-Wert zwischen 85 und 115. Was diese Zahl mit der Intelligenz zu schaffen hat, versteht man wohl am besten mit der bei Psychologen beliebten, aber – natürlich – scherzhaften Definition von Intelligenz: "Intelligenz ist, was der IQ-Test ausgibt."

Was einen IQ-Test "gut" macht

Ein IQ-Test gilt als "gut", im Sinne von nützlich, wenn er zur Vorhersage von Merkmalsausprägungen dient. Wenn sich ein IQ-Test gut dazu eignet, Schulnoten oder beruflichen Erfolg vorherzusagen, wird er eher genutzt. Versagt ein Test an dieser Hürde, findet er keine Anwendung. Ebenso verhält es sich mit der Grundannahme von Psychologen, dass Intelligenz in der Bevölkerung normalverteilt ist: Ist das Ergebnis eines IQ-Tests ein anders Verteiltes, kann der IQ-Test nicht richtig konstruiert sein. Ein solcher Test würde weiterentwickelt, bis er die bekannte Normalverteilung ausgibt: Man wählt andere Aufgaben oder gewichtet sie anders. Die Intelligenz der Bevölkerung kann also nicht anders "verteilt" sein als Psychologen es annehmen. Sollte ein Test nicht eine Welt widerspiegeln, wie Psychologen sie erwarten oder haben wollen, so ist der Test falsch.

Der Witz an dieser Übung ist, dass "Elite"-Schulen oftmals ein erfolgreiches Abschneiden bei IQ-Tests als Hürde für die Aufnahme von Kindern verlangen. Dabei findet eine Rückkopplung statt: IQ-Tests sind gut, wenn sie mit Schulnoten korrelieren und den schulischen und beruflichen Erfolg vorhersagen (was schon eine Komik in sich hat), und Schüler werden in guten Schulen aufgenommen, wenn sie bei IQ-Tests gut sind, wodurch sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Fazit

Der Sinn und das Ziel von IQ-Tests sind fragwürdig, ein echter Zusammenhang zwischen IQ und Intelligenz ist kaum herstellbar und es kann keinen Test für alle Menschen geben. Und doch spricht man gerne von Intelligenz und IQ, wenn man über Bildungs- oder Gesellschaftspolitik reden will. Noch immer will man junge Menschen frühzeitig sortieren, anstatt allen Menschen gleiche Bildungschancen einzuräumen, und bezieht sich dabei auf Intelligenz - damit "sich Deutschland nicht abschafft."

In diesem Artikel wurde das große Thema der Erblichkeit von Intelligenz komplett ausgelassen – aus zwei Gründen: Es wäre erstens viel zu umfangreich und zweitens spielt das Thema keine Rolle, wenn man keinen klaren Begriff von Intelligenz hat.

Es ist natürlich zu erwähnen, dass die Kritik an IQ-Tests genauso auch von den in diesem Artikel eher schlecht weggekommenen Psychologen kommt und nicht nur von Soziologen, Politologen oder Biologen. Außerdem kann man viele grundsätzliche Kritikpunkte an der Arbeitsweise der Intelligenzforscher aus dem Fach Psychologie auch an Wissenschaftlern anderer Gebiete richten.


Literatur: Knebel L., Marquardt P. 2012: Vom Versuch, die Ungleichwertigkeit von Menschen zu beweisen.

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