Sollte es 2021 einen Generationenwechsel im Bundeskanzleramt geben?

  • Von Michael Crass
  • 5. März 2020

In das Amt des Bundeskanzlers sollte sicherlich die Person vom Deutschen Bundestag gewählt werden, die fachlich qualifiziert ist und deren politisches Angebot durch die Bundestagswahlen eine ausreichend große Mehrheit gefunden hat. Idealerweise geht es um die Inhalte, allerdings scheint es einige gewünschte Eigenschaften zu geben, die weniger die Inhalte betreffen als vielmehr die Person, und Eigenschaften der Person, die von ihr nicht zu beeinflussen sind. Einige Beispiele:

  • Herkunft: In den Bundesministerien scheint es zu wenige Abteilungsleiter aus den neuen Bundesländern zu geben (mdr.de).
  • Geschlecht: Der Brandenburger Landtag hat ein Gesetz beschlossen, damit es mehr Frauen im Landtag gibt (tagesspiegel.de).
  • (formale) Bildung: Auch wird beklagt, dass zu wenige Arbeiter und Geringqualifizierte im Bundestag seien (mpifg.de). Es gibt Argumente dafür, dass die Repräsentanz gewisser unveränderlicher Eigenschaften von Menschen wichtiger ist als die politischen Inhalte von Kandidaten (affenspass.de: Anne Phillips).
  • Alter: Es wird auch gefordert, dass mehr junge Menschen in politische Verantwortung kommen, ob ins Parlament oder in die Regierung (bento.de).

Im Folgenden geht es um das Alter von Bundeskanzlern: Wie alt waren die Amtsinhaber beim Antritt bisher? Wie alt sind die möglichen Kandidaten für das Amt nach der nächsten Bundestagswahl, die voraussichtlich 2021 stattfinden wird?

Einige Argumente dafür, dass das Alter des Bundeskanzlers eine Rolle spielen könnte

Zunächst einige Argumente, mit denen für jüngere Regierungschefs geworben wird, oder geworben werden könnte:

  • geistige Gesundheit: Jimmy Carter, der 39. Präsident der Vereinigten Staaten (1977–1981) meinte, junge Menschen haben eher die benötigten geistige Fitness für das Amt des Regierungschefs: "You have to be very flexible with your mind [...] You have to be able to go from one subject to another and concentrate on each one adequately and then put them all together in a comprehensive way. [...] The things I faced just in foreign affairs, I don’t think I could undertake them if I was 80 years old." (nytimes.com)
  • neue Generation:
    • andere Erfahrungen: Junge Menschen gehören einer späteren Generation an als ältere, und haben damit nicht nur altersbedingt eine andere (eher geringere) Erfahrung, sondern auch historisch bedingt (teils grundlegend) andere Erfahrung. Manche Generationen erleben Kriege, die ihr Leben und Handeln prägen; andere Generationen sind mit bestimmten Technologien, ihren Chancen und Gefahren vertraut.
    • Unschuld: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl wollte dem Ministerpräsidenten Israels, Menachem Begin, 1982 als Vertreter einer neuen Generation gegenüber treten. Der 1930 geborene Kohl war im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern im Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust noch ein Kind gewesen (spiegel.de). So stellte sich Kohl auch bei einer Kundgebung vor der Frauenkirche in Dresden am 19. Dezember 1989 dar: "Ich war 1945 – und das sage ich zu den jungen Menschen hier auf dem Platz – 15 Jahre alt, ein Schüler, ein Kind. Ich hatte dann die Chance, „drüben“, in meiner pfälzischen Heimat, groß zu werden, und ich gehöre zu jener jungen Generation, die nach dem Krieg geschworen hat – wie hier auch –: „Nie wieder Krieg, nie wieder Gewalt!“" (bundesregierung.de)
    • (politische) Modernisierung: Willy Brandt galt zu Beginn seiner Amtszeit (1969), gerade mit Blick auf die Achtundsechziger und den bis 1963 regierenden, alten Bundeskanzler Adenauer, als Hoffnungsträger und Modernisierer: "Mehr Demokratie wagen". (vorwaerts.de / bundespraesident.de) Kohl sagte dazu am 6. Oktober 1977 übrigens: "Wer hat denn der jungen Generation die Verheißung einer neuen Vision gegeben? Das waren doch Willy Brandt und Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie haben sie betrogen." (helmut-kohl-kas.de)
    • Betroffen von neuen Herausforderungen: Der ehemalige demokratische Kandidat für die Präsidentschaftskandidatur 2020, Pete Buttigieg, meinte am 14. April 2019, dass seine junge Generation von den neuen Herausforderungen wie dem Klimawandel betroffen sein wird: "Not just about the next four years — it’s about preparing our country for a better life in 2030, in 2040, and in the year 2054, when, God willing, I will come to be the same age as our current President. I take the long view because I have to. I come from the generation that grew up with school shootings as the norm, the generation that produced the bulk of the troops in the post-9/11 conflicts, the generation that is going to be on the business end of climate change for as long as we live." Und weiter sagte er, dass neue Herausforderungen von der jüngeren Generation gelöst werden müssten: "Change is coming, ready or not. The question of our time is whether families and workers will be defeated by the changes beneath us or whether we will master them and make them work toward a better everyday life for us all. Such a moment calls for hopeful and audacious voices from communities like ours. And yes, it calls for a new generation of leadership." (nytimes.com)

Also: Junge Menschen sind vermeintlich geistig fitter, bringen neue Ideen ins Amt und erleben die Folgen ihres Handelns.

Vergleich der bisherigen Bundeskanzler und der möglichen Kandidaten hinsichtlich des Alters

Es ist zu erwarten, dass jeder neue Amtsinhaber einer jüngeren Generation angehört als der Vorgänger. Dies ist nämlich immer dann der Fall, wenn das Alter beim Amtsantritt nicht steigt. Das trifft bis dato auf die Bundeskanzler in Deutschland zu. Bislang ist jeder Bundeskanzler im Schnitt mehr als 10 Jahre nach seinem Vorgänger geboren worden. Bei der Amtsübergabe im Kanzleramt wird also als immerzu eine alte Generation durch eine neue abgelöst. Es galt nämlich immer, dass ein Bundeskanzler beim Ausscheiden älter ist als sein Nachfolger beim Antritt.

Außerdem galt bislang – bis auf eine Ausnahme – immer, dass das Alter beim Amtsantritt eines Bundeskanzlers geringer ist als das Alter des Vorgängers beim Amtsantritt. Nur Gerhard Schröder war bei seinem Amtsantritt älter als sein Vorgänger beim Amtsantritt.

Im Schnitt waren Bundeskanzler beim Amtsantritt 59 Jahre alt, wobei das Alter zwischen Adenauer und Merkel sehr stark gesunken ist.

Bei den möglichen Kandidaten für das Kanzleramt bei einer möglicherweise 2021 stattfindenden Bundestagswahl gibt es einige Personen, die in dieser Hinsicht völlig überraschend wären, obwohl sie in der Bundespolitik derzeit eine prominente Rolle spielen:

  • Friedrich Merz wäre der erste beim Amtsantritt über 65 Jahre alte Bundeskanzler seit den 60er-Jahren. Erwarten müsste man dem Trend nach allerdings eher einen 50-Jährigen.
  • Beim Amtsantritt nochmals älter wäre der derzeitige SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, der einen Rekord aufstellen würde. Nicht nur wäre er beim Amtsantritt älter als Merkel zu Beginn ihrer Amtszeit, sondern er wäre auch der erste Kanzler, der vor der Amtsvorgängerin geboren wurde.
  • Jens Spahn, der bei Spekulationen um den CDU-Parteivorsitz (und damit auch indirekt in der Frage der Kanzlerschaft) immer wieder eine Rolle spielt, wäre ebenso wie die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, beim Amtsantritt 10 Jahre jünger als Angela Merkel, die in dieser Hinsicht bislang die Jüngste war. Die Altersdifferenz bei der Amtsübergabe würde mit etwa 26 Jahren sogar die zwischen Adenauer und Erhard überbieten.

Übersicht der Bundeskanzler und mögliche Kandidaten (Download der zugrundeliegenden Exceldatei: alter_bundeskanzler_affenspass.xlsx

Fazit

Wenn es richtig ist, dass junge Menschen geistig fitter sind, benötigte neue Ideen ins Amt bringen und es wichtig ist, dass Amtsinhaber die Folgen ihres Handelns erleben, dann sollte der Angela Merkels Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers nach 1954 geboren sein. Dafür spricht auch, dass bislang Bundeskanzler immer einige Jahre nach ihren Vorgängern geboren wurden. Eine Kanzlerschaft von dem vieldiskutierten Friedrich Merz oder eines Norbert Walter-Borjans wäre insofern überraschend. Ebenso überraschend wäre wegen des deutlich jüngeren Alters eine Kanzlerin Baerbock oder ein Kanzler Spahn. Im "richtigen" Alter wären Norbert Röttgen, Robert Habeck, Saskia Esken, Heiko Maas und Markus Söder. Aber es gibt im Grundgesetz weder ein Höchstalter noch ein Mindestalter. Während der Bundespräsident mindestens 40 Jahre alt sein muss, reicht für die Kanzlerschaft schon die Volljährigkeit.

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