Quaestio: Ist Nachwuchs bekommen unmoralisch?
Es fragt sich (in dieser nicht ganz ernst gemeinten Quaestio), ob es richtig ist, dass sich Menschen mehren.[1]
Dafür sprechen mindestens drei Argumente:
- Gott ist die höchste Autorität für Menschen, da dies in der Bibel steht. Was in der Bibel steht ist richtig, da Gott Unwahrheiten in der Bibel nicht zugelassen hätte. 1. Mose 9:7 verlangt von Menschen, sich zu mehren. Also müssen sich Menschen mehren. Damit ist es richtig.
- Wenn Menschen ihren Wünschen nachkommen, mindern sie ihr Leid oder werden glücklich. Was glücklich macht, oder Leid mindert, ist richtig. Menschen haben den Drang sich zu mehren. Also ist es für Menschen richtig, sich zu vermehren.
- Menschen können nur richtig handeln, wenn es sie gibt. Ohne Nachwuchs gibt es keine Menschen. Ohne Nachwuchs gibt es kein richtiges Handeln mehr. Daher muss es Nachwuchs geben. Dementsprechend ist es richtig, Nachwuchs zu bekommen.
So scheint es nun also, als ob es richtig sei, wenn sich Menschen mehren. Sagt aber nicht die Kirche, dass es eine Erbsünde gibt? Eine Sünde ist notwendig schlecht. Kann es denn eine Erbsünde geben, ohne die Vererbung? Ohne Nachwuchs gibt es keine Vererbung.
Nun also meine ich auch, Nachwuchs zu bekommen ist weniger falsch als Nachwuchs zu zeugen. Denn: Leben ist Leiden. Es gibt nur Leid als positiv Erlebbares. Glück ist die Abwesenheit von Leid. Neugeborene sind daher nicht bloß ungefragt ins Leben geworfene, sondern auch ungefragt zum Leiden verdammte Wesen. Mutwillig anderen Menschen Leiden aufzuzwingen ist moralisch schlecht. Also ist es nicht richtig, Nachwuchs zu bekommen.[2] Zu den Einwänden nun Folgendes:
- Dieses Argument ist ein Zirkelschluss. Die Bibel verleiht sich selbst die Autorität, die sie braucht.
- Erstens mindert man mit der Befriedigung von Wünschen oder Bedürfnissen nicht notwendig eigenes Leid, da man auch Dinge begehren kann, die einem nicht guttun, wie Zucker, Kokain, ungeschützten Geschlechtsverkehr oder Expartner. Zweitens ist nicht alles „richtig“, was glücklich macht oder Leid mindert. Auch hier gibt es Instanzen dagegen: Ein Raubüberfall könnte „richtig“ sein, ebenso das fälschliche Beschuldigen Dritter zum eigenen Schutz.
- Ohne Menschen gibt es auch kein falsches Handeln mehr, wenn moralische Kategorien nur auf Menschen zutreffen. Dies wurde implizit angenommen. Außerdem folgt aus den Voraussetzungen der Möglichkeiten moralischen richtigen Handelns nicht die moralische Verpflichtung, diese Voraussetzungen zu schaffen. Die Gültigkeit dieses Schlusses ist also mehr als fraglich.
[1] „Richtig“ ist hier stets im moralischen Sinne gemeint.
[2] Darüber hinaus meint Schopenhauer: „Das Leben stellt sich dar als eine Aufgabe, ein Pensum zu Abarbeiten, und daher, in der Regel, als ein steter Kampf gegen die Not. Demnach sucht Jeder durch und davon zum kommen so gut es gehen will: er thut das Leben ab, wie einen Frohndienst, welchen er schuldig war. Wer aber hat diese Schuld kontrahirt? – Sein Erzeuger, im Genuß der Wollust. Also dafür, daß der Eine diese genossen hat, muß der Andere leben, leiden und sterben“ (WWVII, Kap 45) Wegen dem Nachgeben der Lust (also dem Leid eines sexuellen Bedürfnisses) von Eltern muss Nachwuchs leiden. Also verschulden Eltern das Leiden des Nachwuchses.