Menschen aussterben lassen für den Tierschutz?

  • Von Michael Crass
  • 23. Dezember 2017

Der Charme der politischen Tierrechtstheorie von Donaldson und Kymlicka liegt darin, dass zunächst unabhängig von moralischer Intuition versucht wird, Mensch-Tier-Beziehungen sauber in Kategorien von Menschen einzuordnen und daraus moralische Gesetzte abzuleiten. Dabei kommt es tatsächlich zu kontraintuitiven oder kontroversen Vorschlägen, so auch zur Frage der Ernährung domestizierter Tiere. Nach Donaldson und Kymlicka sollten beispielsweise Haustiere vegan ernährt werden.[1]

Der vorliegende Essay widmet sich der Frage, wie plausibel es anhand der Tierrechtstheorie von Donaldson und Kymlicka ist, dass man Katzen aussterben lassen sollte, wenn man sie nicht artgerecht und zugleich vegan ernähren kann – vor dem Hintergrund, dass man bei Tieren nicht grundsätzlich anders denken sollte als bei Menschen. Dazu wird im Folgenden zunächst die ganze Theorie der Autoren dargestellt und danach auf die Stellung der Katze und ihrer Nahrung eingegangen.

Die politische Tierrechtstheorie

Grundsätze

Die Grundlage vor allen Überlegungen ist bei Donaldson/Kymlicka, dass aus der Subjektivität eines Tieres, seinem Bewusstsein und seinem Empfindungsvermögen unverletzliche Rechte abzuleiten sind. Dieses Bewusstsein oder Empfindungsvermögen ist beispielsweise beobachtbar, wenn sich Tiere vor Schmerz winden oder im Sinne eigener Interessen auf Reize reagieren. Dabei ist es irrelevant, ob es sich um Menschen oder nicht-menschliche Tiere handelt. Zu diesen unverletzlichen Rechten gehören Rechte vor „Tötung, Versklavung, Folterung oder Einkerkerung.“[2]

Diese Basis ist, so meinen die Autoren, für Menschen nun weitgehend akzeptiert, für nicht-menschliche Tiere jedoch nicht. Bestritten wird die Unverletzlichkeit einiger Menschenrechte beispielsweise von Utilitaristen, welche meinen, dass man für ein größeres Gut einzelnen Individuen Rechte absprechen kann. Mit Rawls und mit Kants Gebot, Menschen nie alleine als Mittel zu betrachten, dominiert nun die Auffassung der unverletzlichen Menschenrechte. Donaldson/Kymlicka dehnen diese noch auf nicht-menschliche Tiere aus und meinen, dass man auch Tiere nicht für ein größeres Wohl töten darf.[3]

Konsequenzen dieser Basis sind neben dem offensichtlichen Veganismusgebot für Menschen auch Tierversuchverbote, Zooschließungen und das Verbot der kommerziellen Haustierindustrie.[4]

Nach der Erweiterung universeller Rechte auf nicht-menschliche Tiere beginnen Donaldson und Kymlicka damit, menschliche, politische Kategorien von Rechten aufzuschlüsseln und daraufhin nicht-menschliche Tiere in dieses System einzuordnen.

Menschliche Kategorien von Rechten

Donaldson und Kymlicka unterscheiden hauptsächlich zwischen den Kategorien Staatsbürger, Einwohner und Ausländer bzw. Souverän.[5]

Staatsbürger sind solche Menschen, die auf einem geographischen Gebiet das Recht des Aufenthalts unbeschränkt haben und dazu noch voll und gleichberechtigt politisch mitwirken dürfen. Ihre Interessen werden in der Gemeinschaft auf diesem geographischen Gebiet ge- und beachtet. Die höchsten politischen Institutionen arbeiten in ihrem Namen. Ihnen kommen nicht bloß universelle Menschenrechte auf diesem Gebiet zu, sondern darüber hinaus noch staatsbürgerliche Rechte. Dass letztere Rechte nicht jedem Menschen auf der Welt vergeben werden macht für Donaldson/Kymlicka aus praktischen Gründen Sinn, da Staatsbürger in der Regel sprachlich, kulturell und emotional (Bindung) eine Gemeinschaft bilden.

Einwohner sind Menschen, welche keine staatsbürgerschaftlichen Rechte wie das der politischen Teilhabe haben, aber sich von Touristen dadurch unterscheiden, dass sie ein langfristiges Aufenthaltsrecht haben. Ihnen kommt neben den selbstverständlichen universellen Menschenrechten, welche nicht eingeschränkt werden können, noch das Aufenthaltsrecht zu, allerdings dürfen sie beispielsweise nicht an (allen) politischen Wahlen teilnehmen oder haben keinen Anspruch auf alle sozialstaatlichen Leistungen, wie es Staatsbürger haben.

Ausländer sind Menschen, die auf einem anderen geographischen Gebiet in einer souveränen politischen Einheit beheimatet sind und dort staatsbürgerliche Rechte haben. Sie haben kein Aufenthaltsrecht in diesem Staat, aber dennoch die Menschenrechte, die nicht eingeschränkt werden können.

Nicht-menschliche Tiere in menschlichen Kategorien

Domestizierte Tiere, wie Kühe oder Kaninchen, sind nach Auffassung der Autoren Donaldson und Kymlicka als Staatsbürger zu betrachten. Das Argument der beschränkten Handlungsfähigkeit und des beschränkten Intellekts lassen sie dabei nicht gelten, da jeder auch Mensch im Laufe seines Lebens immer wieder auch kognitiv nur beschränkt fähig ist, an der Gesellschaft teilzunehmen. Die Fähigkeiten zum Handeln variieren innerhalb der Gesellschaft wie auch innerhalb eines Menschenlebens durch Alter, Krankheit und Behinderungen.[6] Nicht-menschlichen Tiere, welche größere Abhängigkeiten oder geringere Fähigkeiten zur Teilhabe in der menschlichen Gesellschaft haben, kann nach Ansicht der Autoren daher nicht aus diesem Grund eine Staatsbürgerschaft vorenthalten werden. Bei fast jedem Lebewesen, ob (kranker oder gesunder) Mensch oder Tier, ist es möglich, Präferenzen oder Interessen festzustellen, die es ermöglichen, dieses Lebewesen ethisch korrekt zu behandeln und seine Interessen zu berücksichtigen. Tiere dürfen nach Ansicht der Autoren nur dann domestiziert werden, wenn ihre Interessen angemessen berücksichtigt werden können. Sie sind nicht bloß Eigentum, sondern vollwertige Mitglieder von gemischten Mensch-Tier-Gemeinschaften. Wie in menschlichen Gemeinschaften Eltern für ihre Kinder Verantwortung übernehmen und alle ihre Interessen berücksichtigen müssen, so ist es nach Donaldson und Kymlicka auch eine Sache der Gerechtigkeit, dass es entsprechende Pflichten gegenüber domestizierten Tieren gibt.

Nicht-menschliche Tiere, die zwar nicht domestiziert wurden, aber in Abhängigkeiten von Menschen leben, sind wie Einwohner ohne Staatsbürgerschaft zu behandeln. Solche Tiere sind beispielsweise Eichhörnchen, Ratten oder Spatzen. Diese finden Nahrung oder Unterkunft in der Nähe oder gar in menschlichen Siedlungsgebieten. Die Autoren verwenden für sie den Begriff der Schwellenbereichstiere.[7] Diesen sollte, wie auch anerkannten Asylbewerbern, das Aufenthaltsrecht nicht entzogen werden dürfen. Auch sind ihre Interessen zu achten, da sie weder Fremde noch Eindringlinge sind und auch keinen anderen Ort haben, an dem sie leben können.

Wildlebende Tiere sollten als souveräne Staaten betrachtet werden. Diese Tiere leben relativ frei und relativ unabhängig von Menschen. Ihre Bedürfnisse befriedigen sie weitgehend ohne menschliche Einflussnahme.[8] Allerdings gibt es verschiedene Aktivitäten von Menschen, die sie berühren: Wildlebende Tiere werden, wie Löwen, Elefanten oder Fische, gejagt oder gefischt; ihnen wird das Habitat zerstört oder verkleinert, wenn die menschlichen Siedlungsgebiete wachsen oder Ressourcen abgebaut werden sollen; sie leiden unter indirekten Folgeschäden, wie unter der menschlichen Umweltverschmutzung; aber es gibt auch positive Eingriffe, um sie oder ihr Habitat zu schützen. Der Ansatz der Autoren Donaldson und Kymlicka ist nicht, dass kein Eingriff in souveräne Wildtiergemeinschaften erfolgen darf. Menschen haben Verantwortung für wildlebende Tiere, nicht bloß insofern sie ihr Habitat eingeschränkt haben. Stellvertretend für die Interessen der Wildtiergemeinschaften, die nicht alle ihre Interessen selbstständig vertreten können, Menschen bzw. der jeweilige Staat diese Interessen repräsentieren, so wie beispielsweise Ureinwohnergemeinschaften in Kanada die Verantwortung für ihre Verteidigung an den kanadischen Staat delegiert haben.[9] Damit sind nach Donaldson und Kymlicka alle Mensch-Tier-Beziehungen zunächst in diese drei Kategorien subsumierbar.

Das Aussterbenlassen

Das Problem der veganen Hauskatze

Das Problem, dass sich bei der vegan ernährten Katze stellt, ist folgendes: Die Autoren wollen erstens, dass die Handlungsfreiheiten der Tiere gestärkt werden. Bei domestizierten Tieren hat der Mensch zwar die Pflicht, auch für ihre adäquate Ernährung zu sorgen, aber diese entfällt, wenn Tiere sich selbst ernähren können. So sollte man, wie Donaldson und Kymlicka schreiben, Kühe, Ziegen oder Pferde sich selbst ernähren lassen, da sie sich dann gut ernähren.

Zweitens meinen Donaldson und Kymlicka, dass man sich aus ethischen Gründen vegan ernähren muss.[10] Der Grundsatz ist nämlich, dass kein Lebewesen mit Bewusstsein gefoltert, versklavt oder getötet werden darf. In der gleichberechtigten, gemischten Mensch-Tier-Gemeinschaft gilt dies auch für die Staatsbürger Katze oder Hund. Wenn diese allerdings die Wahl haben, ernähren sie sich auch oder ausschließlich von Fleisch. Katzen jagen gerne außer Haus. Wie Eltern verhindern müssen, dass ihre Kinder anderen Menschen Leid antun (beispielsweise Häuser anzünden), so hätten Tierhalter (menschliche Gefährten) Verantwortung für die Katzen.

Den Konflikt lösen die Autoren so, dass die Katzen bevormundet werden. Mit den Freiheiten der Staatsbürgerschaft kommt nach den Autoren auch die Pflicht, die Grundfreiheiten anderer Tiere zu schützen. Also dürfen Katzen nicht jagen, dies wäre so, als wenn der Mensch selbst für die Katzen töten würde.

Unter der Annahme, dass es keine fleischlose, gut geeignete Nahrung für Katzen gibt, gehen die Autoren Donaldson und Kymlicka Alternativen vor und prüfen, wie ethisch diese sind.

Leichen für Katzen aufzubereiten und sie damit zu füttern würde bei menschlichen Leichen unseren starken Widerwillen und Ekel hervorrufen. Nicht-menschliche Leichen dürfen nicht mit weniger Würde behandelt werden, schließlich sind Tiere vollwertige Mitgliedern der gemischten Mensch-Tier-Gemeinschaft. Auch bei Laborfleisch aus Stammzellen kann man aus o.g. Gründen weder tierische noch menschliche Stammzellen nutzen. Donaldson und Kymlicka kommen zu dem Schluss, dass unter bestimmten Bedingungen die Nutzung von Hühnereiern auch für Katzen ethisch korrekt sein kann. Hühner leiden unter dem Diebstahl ihrer Eier nicht, wenn sie ebenfalls als Staatsbürger Gefährte eines Menschen sind, der ihre Interessen berücksichtigt, wie er die Interessen und das Wohl seines Kindes schützen würde.

Aus diesen Problemen folgt für die Autoren, dass es möglich sei, dass die Katzenhaltung nicht bloß mit einer gewaltigen Verantwortung verbunden ist, sondern vielleicht gar ethisch unmöglich ist. Eventuell müsste man Katzen also aussterben lassen[11] und den aktuell lebenden Katzen bei einem ansonsten guten Leben die Fortpflanzung verwehren. Hierfür haben die Autoren keine endgültige Antwort.[12]

Die Existenz von Menschen auslaufen lassen

Der über allem stehende Grundsatz bei Donaldson und Kymlicka ist, dass Lebewesen mit einem Bewusstsein, mit einem subjektiven Empfinden bzw. wo jemand „zuhause ist“, nicht getötet, versklavt oder gefoltert werden dürfen. Demnach muss man menschlichen Fleischessern eine vegane Lebensweise verordnen und eben auch Katzen, wobei in beiden Fällen der Konsum von Eiern von ethisch gut gehaltenen Hühnern legitim wäre, da dabei niemand zu schaden kommt, kein Leben getötet wird und auch keinem Tier wirklich etwas weggenommen wird. Wenn nun die Autoren die Möglichkeit in Betracht ziehen, Katzen aussterben zu lassen, weil wir Menschen möglicherweise unfähig wären, sie artgerecht zu ernähren, und Katzen unfähig sind, sich ethisch korrekt zu verhalten, dann ist dies möglicherweise gegen die moralische Intuition, allerdings in der Argumentation der Autoren konsequent, wie es scheint.

Wenn dies allerdings wirklich konsequent ist, und entsprechend kein Unterschied zwischen Menschen und Tieren gemacht wird, und das Aussterbenlassen von Katzen ethisch nicht fragwürdig wäre, dann muss gefragt werden, warum man nicht Menschen aussterben lässt. Dass man Katzen aussterben lassen sollte, kann man begründen damit, dass man sie nicht artgerecht ernähren kann, ohne dass man für sie tötet oder sie töten lässt -was nach Donaldson und Kymlicka auf das gleiche hinausläuft. Wie kommt man darauf, dass Katzen, wenn man sie frei herumlaufen lässt, töten? Empirie, und die ist so evident, dass Donaldson und Kymlicka dies nicht infrage stellen. Dass man Menschen aussterben lassen sollte, könnte man damit begründen, dass sie kein gutes Leben führen können, ohne dass andere Lebewesen leiden. Wie kommt man darauf? Empirie. Beispiele für das Schlechtsein von Menschen haben Donaldson und Kymlicka an vielen Stellen erwähnt, u.a. Massentierhaltung oder die Habitatzerstörung (aber dazu könnte man noch Ausbeutung von und Verbrechen an Artgenossen hinzuzählen). Unter Menschen mussten die letzten Jahrhunderte immer mehr menschliche und nicht-menschliche Tiere leiden. Wenn Aussterben für ein Tier (Katze) kein Problem ist, warum sollte es für einen Menschen oder die Menschen ein Problem sein? Denkt man Menschen und Tiere konsequent in gleichen Kategorien, wie kann es dann ein Problem bei Menschen sein? Vielleicht, weil sie sich ändern können? Vielleicht ändern sich auch Katzen bald?

Fazit

Donaldson und Kymlicka wussten, wie sie vielfach im Buch geschrieben haben, dass gerade auch in der Tierethik als Gegenargumente (vermeintliche) Absurditäten zu erwarten sind. Eben mit dem Anspruch, nicht speziesistisch zu argumentieren, geraten die Autoren noch viel mehr in diese Gefahr. Der löbliche Versuch, sauber in menschlichen Kategorien zu denken und dabei auch gegen eine moralische Intuition zu arbeiten, macht diese Tierrechtstheorie interessant, aber schwierig. Die Frage bleibt nämlich immer: Wenn etwas für ein Tier in Ordnung ist, wieso dann nicht auch für einen Menschen? Wieso ist es denkenswert, wenn Katzen aussterben, aber nicht Menschen? Das Aussterben von Menschen wurde nicht in Erwägung gezogen.[13] Wer würde darunter leiden?


  • [1] Vgl. Sue Donaldson/Will Kymlicka, Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte, Berlin 2013, S. 331.
  • [2] Ebd., S. 49.
  • [3] Vgl. ebd., S. 50.
  • [4] Vgl. ebd., S. 116.
  • [5] Vgl. ebd., S. 118.
  • [6] Vgl. ebd., S. 128.
  • [7] Vgl. ebd., S. 468.
  • [8] Vgl. ebd., S. 344.
  • [9] Vgl. ebd., S. 464.
  • [10] Vgl. ebd., S. 331.
  • [11] Vgl. ebd., S. 337; obwohl die Autoren überwiegend gegen den Abolitionismus argumentieren, vgl. S. 116, S. 181.
  • [12] Vgl. ebd., S. 337.
  • [13] Nur für afrikanische Sklaven wird dies diskutiert (also immer nur für Machtlose und Abhängige): vgl. ebd., S. 176.

Ähnliche Artikel