Kartographie im 19. Jahrhundert: Die neuen Farben

  • Von Michael Crass
  • 28. Oktober 2015

Menschen des 21. Jahrhunderts sind Zeugen rasanten Fortschritts auf dem Gebiet der Kartographie. Der Zugriff auf übersichtliche Visualisierungen unserer Welt wird immer handlicher. Mittlerweile kann man mit “Apps” bequemer und einfacher als je zuvor die Welt erkunden und Orientierung finden. Bei der ganzen Geschwindigkeit der Moderne entgeht uns leicht eine scheinbare Selbstverständlichkeit: Die Farbigkeit der Karten. Grund genug einen Blick auf die Zeit der neuen Farben zu werfen.

Die Geschichte der Farbigkeit der Karten ist über hundert Jahre alt. Doch noch in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist es erwähnenswert, wenn man Karten farbig darstellt. So wurde festgestellt, dass größere Städte Stadtgrundkarten mit mehr Farben drucken ließen. “Deutlicher wird dieser Schnitt noch bei der Zahl der Druckfarben, die bei den größeren Städten – mit maximal fünf Farben – im Mittel 2,5 gegenüber 1,2 Farben bei kleineren Städten beträgt.” (BOSSE 1970:21).

WOLKENHAUER (1895) lässt die Moderne der Kartographie u.a. aufgrund der Anwendung verschiedener Farben 1855 beginnen, wobei die Charakterisierung jener Epoche als “Moderne” der zeitlichen Perspektive des Autors geschuldet ist. Die neuen Farben wurden möglich, weil die Lithographie am Ende des 18. Jahrhunderts erfunden wurde. Es war das erste Druckverfahren für größere Auflagen in Farbe. Damit sind die Kosten zur Kartenherstellung gesunken. Dies ermöglichte, dass in der Folgezeit eine Vielzahl an privaten Institutionen Karten publizierte und der deutschsprachige Raum weltweit führend in der Kartenproduktion wurde, doch ist der Erfolg kaum vorstellbar ohne die neuen Möglichkeiten der Visualisierung (WIKIPEDIA 2015).

Auch in Großbritannien begann für die Karte der Siegeszug in der öffentlichen Meinung ab Mitte des 19. Jahrhunderts – und wieder spielen Farben eine große Rolle. In Großbritannien schienen Statistiken weniger vertrauenswürdig und waren weniger anschaulich. Obwohl Karten keineswegs zuverlässig waren, hatten sie den Ruf von Zuverlässigkeit. Das lag auch daran, dass sie weniger anfällig gegen kleine Änderungen im Laufe der Zeit waren. Die Karte des Empire ist natürlich auch durch die gesunkenen Kosten der Kartenproduktion in die Köpfe der Bevölkerung Großbritanniens gelangt. Die Bedeutung der Karte ließ sich daran erkennen, dass in den Köpfen der Menschen Großbritanniens die Farbe “rot” direkt mit dem “Empire” assoziiert wurde. Das lag daran, dass auf Weltkarten Großbritannien immer rot bzw. rosa eingefärbt war. Zum ersten Mal war eine Karte sehr präsent in den Köpfen der Öffentlichkeit. Ohne die neuen Farben in der Karte wäre die Bedeutung der Karte nicht so rasant gestiegen (LAIDLAW 2006).

Obwohl Karten des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zu (europäischen) Karten des Mittelalters schon exakt und objektiv galten, waren sie natürlich auch nicht frei von Subjektivität oder Normativem. Als Autor der Karte hat schließlich der Kartograph die Auswahl zu treffen, was dargestellt wird und was nicht. Ebenso trifft er die Auswahl der Farben. Das zeigt die Karte von Sotzmann nach der ersten Polnischen Teilung eindrucksvoll: „Rückwirkend betrachtet erscheint die Karte von Sotzmann wie eine Vorwegnahme der zweiten und dritten Teilung. Denn was die Karte an historischen Regionen und innerpolnischen Grenzen zeigt, entspricht weitgehend den Teilungen. Im Wesentlichen bedeutete dies: gelb zu Preußen, rot und blau zu Russland und grün zu Österreich, wobei es Abweichungen in allen drei Teilungsgebieten gab.“ (STRUCK 2006).

Sotzmanns Karte von Polen zeigt außerdem gut auf, dass die Wirkung einer Karte durch den Schein von Objektivität und Exaktheit – hier reiht sich die Kartographie auch beim Physikneid ein – einen Zustand von Grenzen zeigt, der scheinbar unverändert oder wenigstens natürlich ist. Die Karte zeigt nämlich beinahe exakt die zukünftigen Grenzen als ob sie nicht erst Ergebnis politischen Willens und Gewalt sein müssten, sondern eben natürlich. Die Grenzen Polens vor der Teilung hingegen sind nicht sichtbar. Was auf einer Karte nicht sichtbar ist, existiert nicht.

Zu den weiteren großen Fortschritten des 19. Jahrhunderts gehören die Photographie und die Techniken der Dufourkarte. Die Kartographie wurde weniger abhängig von Handarbeit. Die Photographie ist in der Kartographie angekommen und machte es möglich, “[...] die Reduktion der Karte aus einem Massstabe in einen anderen sehr rasch und genau durchzuführen” (WOLKENHAUER 1895:70). Die Dufourkarte stellte Gelände neu dar. Topographische Karten wurden mittels Schattenschraffen und einer gedachten Lichtquelle aus nordwestlicher Richtung anschaulicher und maßgeblich für künftige topographische Karten.

Das 19. Jahrhundert war mit Sicherheit eines der großen Jahrhunderte der Kartographie. Der in diesem Essay ausgeblendete Kolonialismus und Imperialismus hat dazu natürlich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet. Doch ohne die technischen Entwicklungen, insbesondere die verbesserte Visualisierung durch Farben, wäre eine solche Entwicklung dieses Mediums kaum denkbar gewesen.

Literaturverzeichnis

  • BOSSE, H. (Hrsg.) (1970): Deutsche Kartographie der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland. Bielefeld.
  • STRUCK, B. (2006): Das Empire in Rot. In: DIPPER, C./SCHNEIDER, U. (Hrsg.): Kartenwelten. Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit. Darmstadt. S. 177–192.
  • LAIDLAW, Z. (2006): Farben, Sprachen, Territorien. Die deutsch-polnische Grenzregion auf Karten des 19. Jahrhunderts. In: DIPPER, C./SCHNEIDER, U. (Hrsg.): Kartenwelten. Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit. Darmstadt. S. 146–159.
  • WIKIPEDIA (2015): Geschichte der Kartographie. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Kartografie  (27.10.2015)
  • WOLKENHAUER (1895): Leitfaden zur Geschichte der Kartographie in tabellarischer Darstellung. Breslau.