Freiheit für Katalanen und Kurden

  • Von Michael Crass
  • 1. Oktober 2017

Kurden im Nordirak haben am letzten Montag für ihre Unabhängigkeit gestimmt und nun wollen auch die Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Irak, Iran, Syrien und die Türkei wehren sich gegen die Unabhängigkeit des größten Volkes ohne eigenen Staat. Und auch Madrid wehrt sich gegen das Referendum in Katalonien. Welche Argumente haben Gegner und Befürworter? Welche Argumente haben einen Wert?

Selbstbestimmungsrecht der Völker

Das stärkste Argument ist das, welches am seltensten genutzt wird: die UN-Charta

The Purposes of the United Nations are: [...] To develop friendly relations among nations based on respect for the principle of equal rights and self-determination of peoples, and to take other appropriate measures to strengthen universal peace;

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist das zentrale und universale Grundrecht zwischen den Staaten und für die Menschen dieser Welt – spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Also: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung".

Beachtet wurde dieser Grundsatz in Teilen bei der Abstimmung des Saarlands 1955, bei der Dekolonialisierung Afrikas und beim Zerfall der Sowjetunion, als Bevölkerungsgruppen eines geographischen Gebiets ihre Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit erklären konnten.

Missachtet wurde dieser Grundsatz immer wieder: Palästinenser wollen einen eigenen Staat, ebenso Ostgebiete in der Ukraine, Tibeter, vielleicht noch Südtiroler, Tschetschenen, Basken, Assyrer und Bewohner Transnistriens. Dazu kommen möglicherweise noch Iren in Nordirland oder jetzt wieder die Schotten. Ganz aktuell ist der Wunsch der Kurden in der Türkei, in Syrien, Iran und im Irak in den Medien, wie auch das Referendum der Katalanen.

Das sogenannte Völkerrecht ist auf der Seite der Kurden und Katalanen. Doch der Blick in die Geschichte zeigt, dass es Abspaltungen meist bloß dann gab, wenn der damit geschwächte Staat schon vorher etwas geschwächt war, wie beispielsweise die Sowjetunion 1989/1990, Serbien 2012 oder die Ukraine 2014.

Die spanische Zentralregierung ist aktuell nicht schwach genug, sie kann ihre Interessen recht gut durchsetzen. Die Polizei in Katalonien wird nämlich von Madrid aus befehligt – trotz ihrer möglichen Sympathien für das Unabhängigkeitsreferendum. Damit ist ein katalanischer Erfolg nicht besonders wahrscheinlich. Auch die Situation der Kurden in Erbil ist nicht gut, da zwar nicht der Irak stark ist, aber eben die Nachbarländer, die auch große kurdische Bevölkerungsanteile haben. Recht nützt wenig, wenn keine (militärische oder polizeiliche) Macht dahinter steht.

Volkswille gegen ein Referendum

Ein beinahe schon perverses Argument gegen das Unabhängigkeitsreferendum der Katananen ist der Wille der Madrilenen. Dort demonstrieren Menschen gegen das Referendum, da sie die Einheit Spaniens erhalten wollen (Reuters). Da stellt sich die Frage, warum nicht auch Menschen in Peking dafür demonstrieren könnten, dass sich Spanien Peking unterordnet? Nach der UN-Charta sollen Menschen ihre Regierung und ihr politisches System selbst bestimmen dürfen. Es heißt nicht, dass Madrid für Katalonien das politische System bestimmen sollen darf.

Ökonomisch, politisch oder sportlich sinnvoll

Im Falle Kataloniens wird gerne argumentiert, dass der FC Barcelona dann nicht mehr in der spanischen Fußballliga spielen dürfe (Sportbild). Solange die Katalanen dennoch wenigstens abstimmen wollen, kann man sie mit keinem guten Argument daran hindern – nur mit Gewalt. Außerdem: Welche Liga würde gerne auf diesen Fußballverein verzichten, um dann eine langweilige Liga mit madrilenischer Dominanz zu erhalten? Zur Not dürfte dieser Verein vielleicht auch in Frankreich mitspielen, wie es auch der AS Monaco macht. Eine Liga muss nicht die exakt gleichen geographischen Ausmaße haben wie der jeweilige Staat. Das ist also eine leere Drohung und ein schlechtes Argument.

Auch hört man immer wieder, dass im Falle einer Unabhängigkeit von Katalonien alle wirtschaftlichen Vorteile, die es noch gegenüber dem Rest Spaniens hat, verloren gingen, da es nicht mehr in der Europäischen Union wäre. Und bei einer Aufnahme eines Staates in die EU müssten alle Mitgliedsstaaten, also auch Spanien selbst zustimmen. Spanien würde dies verhindern und damit würden Produkte von Unternehmen in Barcelona beim Export in die EU mit hohen Zöllen belegt werden. Die aktuelle wirtschaftliche Stärke Kataloniens würde damit verschwinden. Dieses Argument zeigt bloß, wie verzweifelt die Zentralregierung in Madrid ist. Es gibt viele Unabhängigkeitsbewegungen in Spanien. Würde Katalonien Spanien den Rücken kehren und dabei Erfolg haben, so könnten die Basken Ähnliches versuchen. Im Übrigen haben Italien und Frankreich solche Probleme mit einigen Regionen. In Madrid ist man nur an der eigenen Macht interessiert, nicht an höheren Werten oder Prinzipien.

Im Falle der Kurden heißt es auch der Türkei, dass man gegen das Referendum ist, da so wieder eine Wunde in der Region aufgerissen werden würde (F.A.Z.). Auch das kann kein Argument sein. Denn das bedeutet, dass Unterdrückung gut ist, wenn dadurch Frieden gewährleistet bleibt. Unterdrückungen sind also lt. Erdogan auszuhalten - für die Frieden.

Solange Demokratie und Völkerrecht irgendwas an Bedeutung haben, kann es keine legitimen Argumente dieser Art gegen Unabhängigkeitsreferenden geben.

Legalität

Das unsinnigste Argument, besonders im Falle der Katalanen, ist die Legalität, bzw. das Fehlen dieser. In der spanischen Verfassung ist ein Austritt nicht vorgesehen, damit ist es nicht legal. Doch welche klug geschriebene Verfassung enthält schon Reglungen, die das Geltungsgebiet der Verfassung mit einfachen Mitteln reduzieren? Das findet man nur im Verfassungsvertrag der Europäischen Union, weswegen der Brexit nun in dieser Form stattfindet.

Wenn ein Volk sich selbst bestimmen will und dafür den Bestimmungen gehorchen muss, unter denen es nicht leben will, so ist das an Albernheit kaum zu überbieten. Die spanische Regierung macht sich lächerlich. Wie Erdogan.

Fazit

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker sollte geachtet werden. Unabhängig vom erwarteten Ausgang eines Referendums muss es daher zugelassen werden. Doch in der Politik geht es natürlich nicht um Ideale, sondern um Macht. Alle Argumente, die dies verhüllen sollen, sind fadenscheinig!


UN-Charta: http://www.un.org/en/sections/un-charter/chapter-i/index.html

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