Englische Vorzensur im 17. Jahrhundert

  • Von Michael Crass
  • 30. August 2017

In seinem Kampf gegen die Vorzensur schreibt John Milton 1644 in Areopagitica: „Who kills a man kills a reasonable creature, God's image; but he who destroys a good book, kills reason itself, kills the image of God, as it were in the eye.“[1a] Den Worten Miltons zufolge werden mit der Vorzensur Morde in den „wars of Truth“ begangen, die schlimmer sind als bloß Morde an Menschenleben. Wenn eine Nation überhaupt einen Wert in Büchern gesehen hatte, so führte sie niemals eine Vorzensur ein. Damit scheint die Vorzensur die größte Bedrohung für das größte Gut überhaupt zu sein. Aufgrund der Übereinstimmung dieses Schreckensszenarios mit dem heute nicht seltenen Bild von der damals ein- und beschränkenden Rolle von Kirche und Krone, fällt es nicht schwer, in der Zensur des 17. Jahrhunderts eine mächtige Waffe gegen die Freiheit zu sehen.

Andererseits erscheint die Bedeutung dieser institutionellen Zensur deutlich geringer, wenn man folgende Beschränkungen berücksichtigt: Wie steht es um die Weltanschauung der damaligen Zensierten? Und zweitens, welche Beschränkungen haben ihren Ursprung in der Perspektivität des heutigen Historikers?

Die vorliegende Arbeit will zeigen, wie groß die Bedeutung der Vorzensur im England des 17. Jahrhunderts auf die Arbeit wissenschaftlicher Autoren einzuschätzen ist und welche Schwierigkeiten hierbei auftreten. Dafür werden zunächst die Begriffe Wissenschaft und Zensur definiert. Ergänzend folgt eine Darstellung der Zensur in England des 17. Jahrhunderts. Anhand des ersten Sekretärs der Royal Society, John Wilkins, wird dargelegt, welchen Einschränkungen seine Wissenschaft unterlag und welche Faktoren dabei eine Rolle spielten.

Inhalt

Begriffe und historischer Kontext

Wissenschaft

Als Wissenschaft bezeichnet man „ein zusammenhängendes System von Aussagen, Theorien und Verfahrensweisen, das strengen Prüfungen der Geltung unterzogen wurde und mit dem Anspruch objektiver, überpersönlicher Gültigkeit verbunden ist.“[1b] Damit ist der wissenschaftliche Anspruch darin zu messen, inwieweit die Vorgehensweise transparent ist, und Ergebnisse reproduzierbar sind.

Zensur

Im Bereich der Publizistik versteht man unter Zensur die „staatl. Überwachung und Unterdrückung von Veröffentlichungen in audiovisuellen und Printmedien, um die Publizistik im Sinn der Staatsführung zu beeinflussen.“[2] Es geht um die Kontrolle der Kommunikation durch die Machthaber, ob politisch oder religiös.[3] Dabei ist sowohl die Sichtweise des Kampfes um die freie Meinungsäußerung wie auch die Sichtweise auf alle möglichen Einschränkungen des freien Informationsaustausches zu betrachten.[4]

Mit der Erfindung der Druckerpresse durch Gutenberg im 15. Jahrhundert verbreitete sich auch in England eine kostengünstige und effiziente Möglichkeit, Meinungen zu verbreiten, auch wenn sie von der Krone abwich. Daher ordnete die Star Chamber an, dass kein Buch ohne vorheriger Einholung einer Lizenz gedruckt werden dürfe.[5] Dies war der Beginn der englischen Vorzensur. Ab dann galt in England, dass Schriftsteller Texte, auch mit dem Ziel der Mehrung öffentlichen Guts, nicht nur mit Sorge um den eigenen schriftstellerischen Erfolg, sondern auch mit Angst vor der Zensur schrieben[6]:

„To come to the presse is more dangerous, then to be prest to death, for the payne of those Tortures, last but a few minutes, but he that lyes upon the rack in print, hath his flesh torne off by the teeth of Enuy, and Calumny euen when he means no body any hurt in his graue.“[7]

Die Worshipful Company of Stationers and Newspaper Makers, kurz Stationers‘ Company, war zur Durchsetzung gut geeignet, auch wenn die Regierung ihr zurecht nicht alleine die Bewältigung dieser Aufgabe zutraute.[8] Dennoch gab die Krone der Gilde der Buchhändler, Kaufleute, Buchbinder und Drucker, die weite Teile des Buchmarktes kontrollierten, zur Sicherung der eigenen Macht, die Mittel dazu. Ab 1557 kontrollierte sie als staatlich legitimiertes Monopol den britischen Buchhandel mit dem Auftrag, kein Buch ohne Lizenz drucken zu lassen.[9] Im Interesse der Stationers‘ Company war dieser Pakt, weil sie ihre wirtschaftlichen Interessen und das Urheberrecht schützen wollte[10] und dabei Macht sogar ausbauen konnte. Dafür nahm die Company sogar die Rolle einer Zensur-Polizei an und beging Hausdurchsuchungen.[11] In Gefahr waren dabei nicht nur Autoren, die ein Manuskript drucken lassen und dafür eine Lizenz erwerben wollten, sondern auch die Schriftsteller, die ohne jegliche Intention ihr Werk drucken zu lassen schrieben. Auch ihnen drohten Folter und Todesstrafe.[12] Dies führte auch zur Selbstzensur, sogar in den höchsten Kreisen der Gesellschaft.[13] Gerade auch dieses Phänomen ist problematisch, wenn man die Wirkungen der Vorzensur erfassen möchte, da die Differenzierung zwischen Selbstzensur und ehrlicher Meinung oder Überzeugung dadurch erschwert wird.

Verschärfungen der Vorzensur gab es noch 1637, als die Zahl der Drucker zur besseren Kontrolle staatlich stärker limitiert wurde, allerdings konnte die Kontrolle der Druckerpressen während des Bürgerkriegs in den 1640er Jahren nicht durchgesetzt werden. Das Parlament setzte 1643 wie auch die restaurierte Monarchie in den 1660er Jahren neue Lizenzverordnungen durch, doch konnte die Zensur nicht mehr aufrechterhalten werden. In der Gesellschaft wuchsen Wohlstand, Bildung und das politische Bewusstsein und die Forderungen nach einer freien Presse wurden lauter, auch wenn diese Forderungen nicht so zu verstehen sind, wie sie heute verstanden werden: So forderte John Milton nicht etwa eine völlig freie Presse, sondern war lediglich gegen die Vorzensur und unterstützte das Bestrafen von boshaften oder schelmischen wie auch von verleumderischen Werken.[14] Auch war Milton gegen anonymes Publizieren, bei dem diese anonymen Autoren ear-cropping, nose-slitting und propagandistischen Bücherverbrennungen[15] entgehen hätten können.

Am Ende des 17. Jahrhunderts fiel nach der Glorious Revolution die generelle Vorzensur endgültig und damit schwand auch die Rolle der Company.

Fragliche Selbstzensur am Beispiel John Wilkins‘ „Discovery of a World in the Moone“

1638 veröffentlichte John Wilkins das Buch The discovery of a world in the moone, or, a discourse tending to prove that ’tis probable there may be another habitable world in that planet. Um an diesem Beispiel den Unterschied den Einfluss der Vorzensur auf die Wissenschaft festzumachen, muss zunächst diskutiert werden, ob dieses Werk ein Wissenschaftliches ist. Darauf ist zu prüfen, wo Einfluss der Vorzensur vorlegen könnte, und welche anderen Motive als der Schutz vor der Zensur diesen Textstellen zugrunde liegen könnten.

Einordnung als Wissenschaft

Der Titel des The discovery of a world in the moone proklamiert eine mögliche Welt auf dem Mond samt Mondmenschen. Da stellt sich die Frage, wie wissenschaftlich ein solches Werk sein kann. Die Fragestellung dieser Arbeit verweist immerhin auf den Einfluss der Vorzensur auf wissenschaftliche Werke, bzw. die Möglichkeit, dieser Frage nachzugehen.

Zunächst: Der Gedanke an andere Welten und Bewohner dieser Welt war zu dieser Zeit kein vollkommen absurder. Viele Denker haben sich dieses Themas angenommen, unter anderem Giordano Bruno:

„It follows from these premises that Bruno will fill up his infinite universe with an infinite number of worlds. […] Bruno calls these infinite worlds angels or gods insofar as they mediate between the finite human mind and the universal, infinite whole.“[16]

Aber auch Voltaire, Wiliam Derham oder Bernhard le Bovier de Fontenelle haben sich mit diesem Gedanken ernsthaft auseinandergesetzt. Dass es nicht komplett merkwürdig war, die Möglichkeit von Menschen auf dem Mond ernsthaft anzunehmen, zeigt auch der Brief von dem Mitglied der Royal Society, William Neile, an einen der Sekretäre der Royal Society of London for Improving Natural Knowledge, Henry Oldenburg, als er diskutiert, welche Materialien in der Optik gut zu gebrauchen seien und, ob Außerirdische vielleicht bessere Materialien hätten:

„The new materials for Optick glasses I hope maybe of great advantage for since glasse gives so great improvement to sight I know not why some other matter might not doe more and it may be those in the moon (if anie there be) have much better materials for this purpose then wee.“[17]

Im Kreis der Royal Society und in unmittelbarer Nähe zu noch heute bekannten Namen wie Thomas Hobbes, zu dem der Empfänger des obigen Briefes auch Kontakt hatte („To my most honored friend Mr T. Hobs“[18]), oder Leibniz[19], war dieser Gedanke nicht absurd.

Außerdem: Der Gedanke, es gebe möglicherweise andere Welten, kann an sich noch nicht unwissenschaftlich sein. John Wilkins beschreibt schon im Titel des Werkes, dass er in seiner Erörterung nicht mehr als einen Versuch sieht, zu zeigen, dass eine Welt im Mond möglich ist. Dabei geht Wilkins im Vorwort darauf ein, dass sein Gedanke einer ist, der in der größeren Öffentlichkeit auf Widerspruch stößt, aber dadurch noch nicht falsch wird. So fährt Wilkins im ersten Kapitel fort: „1. Other truths have beene formerly esteemed altogether as ridiculous as this can be. 2. Grosse absurdities have beene entertained by generall opinion.“[20] Wahrheit oder Falschheit einer Aussage hängt auch – und erst recht – heute nicht von der Anzahl ihrer Überzeugten ab.

Einem wissenschaftlichen Ansatz wird Wilkins auch dadurch gerecht, dass er teilnimmt am wissenschaftlichen Diskurs mit seinem sechsten Kapitel „Proposition 6“, in der Wilkins auf die Meinungen und Aussagen von „many ancient, with some moderne Mathematicians“[21] darlegt.

John Wilkins postuliert mit diesem Werk keine Wahrheit, er bietet nicht mehr als interessante Ansätze, mit denen er zum Denken anregen will: „If by this occasion I may provoke any reader to an attempt of this nature, I shall then thinke my selfe happy, and this work successefull.“[22] Damit kann dieses Werk als wissenschaftlich angesehen werden.

Person und Stellung

Das Werk von Wilkins kann keineswegs alleine beantworten, ob und wenn ja, wie es durch die Vorzensur beeinflusst wurde. Ein Blick auf seine Person und Stellung ist ebenso unerlässlich wie die Betrachtung der Umstände der Presse. Henry Oldenburg schrieb 1660 in einem Brief:

„The things you desire to know concerning the surving relatives and friends of Cromwell cannot so safely be sent by letter. For the rest, Dr. Wilkins lingers in this city; he has been made Dean of York and elected President of the new English Academy very recently founded here under the patronage of the king for the advancement of the sciences. It is composed of extremely learned men, remarkably well versed in mathematics and experimental sciences. […] There is still great liberty of conscience here, […] I hope for nothing from the future; the Lord will provide. To His protection and benevolence I commend you and all of us, with all my heart.“[23]

Zur Zeit der Veröffentlichung dieses Mondwelt-Diskurses war John Wilkins zwar weder Bischof noch Gründungsmitglied der Royal Society, die es erst seit 1660 gab. Aber schon vorher war der Puritaner Wilkins auf seiner religiösen Laufbahn besonders dadurch aufgefallen, dass er in jeder politischen Konstellation während des Bürgerkriegs hohe Ämtern bekleidete, auch nach dem Ende des Bürgerkriegs, und dem Ende des Schwagers, Oliver Cromwell.

Indizien für Selbstzensur

Aus heutiger Sicht lässt sich leicht ein Bild konstruieren, in der die Religion einen negativen Einfluss auf die Wissenschaft gehabt haben muss. Der Soziologe Merton zeigte dementgegen allerdings, dass der puritanische Einfluss auf die Wissenschaft u.a. durch das weniger obrigkeitsgläubige Denken stark war, oder wenigstens, dass Wissenschaft und der puritanische Glauben harmonierten.[24] Aber sicher: Die Mechanismen und Institutionen um die Company und die Licensing Acts sprechen dafür, dass es eine starke Kontrolle gab. Diese war allerdings nicht lückenlos.[25]

Auf der dritten Seite dieses Werks ist die lateinische Druckerlaubnis abgedruckt: „Perlegi hæc παράδοξα & novitatis graciâ typis mandari permitto.“ Damit hatte Wilkins vor dem Druck die nötige Lizenz für diese „Ungewöhnlichkeiten und Neuheiten“. Formal ist damit belegt, dass es eine Prüfung des Textes gab, und diese dem Autor beim Verfassen bewusst sein konnte.

Inhaltlich kann man aufgrund vieler Textstellen in der „Proposition 2“ (vor-)schnell zu dem Schluss kommen, dass Wilkins sein Werk mit kaum bestreitbarem wissenschaftlichem und demütigem Anspruch in diese Zeit einfügen musste, mit gewissen Anpassungen an die herrschende Ordnung von Krone und Kirche. Wilkins bemüht sich in einem ganzen Kapitel, zu zeigen, dass „a plurality of worlds doth not contradict any principle of reason or faith.“

Er zeigt im Folgenden auf, dass Moses von bloß einer Welt berichtet und eine weitere Welt gegen Gottes Perfektion sprechen würde; dass der heilige Johannes auch nur von der Welt im Singular spricht, ebenso wie Thomas von Aquin. Auch macht John Wilkins deutlich, welche Folgen es hat, und auch für ihn hätte, zu behaupten, es gebe mehrere Welten: „The opinion of more worlds has in ancient time beene accounted a heresie, and Baronius affirmes that for this very reason, Virgilius was cast out of his Bishopricke, and excommunicated from the Church.“[26] Nichts geringeres als die Exkommunikation und der Verlust von Amt und Würde drohen, und das ist ihm offensichtlich bewusst. Dabei spricht Wilkins nicht einmal von den Strafen der Stationers‘ Compagny.

Mit diesem Problem geht Wilkins scheinbar ganz einfach um, in dem er klarmacht, dass der Themenschwerpunkt und die Intention der Bibel eben einfach eine ganz andere seien. Es gehe der Bibel eben nicht darum, naturphilosophische (heute: naturwissenschaftliche) Aussagen zu machen, sondern höhere Fragen zu beantworten, wie er seinen Landsmann Master Wright zitiert: „Tis not the endeavour of Moses or the Prophets to discover any Mathematicall or Philosophicall subtilties, but rather to accõmodate themselves to vulgar capacities, and ordinary speech, as nurses are wont to use their infants.“[27]

Auch wenn diese Lösung nun beinahe willkürlich aussieht und dazu noch sehr simpel, so ist Folgendes zu bedenken: Neben und um dieses Zitat sind weitere Ausführungen von Wilkins, die in seinem Werk etwa 10% ausmachen. Etwa 20 von 214 Seiten verwendet er darauf, seine Gedankengänge in Einklang mit der Bibel zu bringen. Dazu nennt er einige Gefahren, auf die er sich einlässt. Von Schwierigkeiten dieses Werks mit der Bibel berichtet auch Patrick A. Wright-Henderson in seinem Buch The Life and Times of John Wilkins:

„In 1638 he published his first work, an Astronomical treatise, the fruit of his studies at Oxford and at Fawsley. It is entitled 'The Discovery of a World in the Moone, or a discourse tending to prove that there may be another habitable World in that Planet': in the third impression, issued in 1640, is added a "Discourse concerning the Possibility of a Passage thither." Like Lucian he imagined a voyage to the moon, though he admits that the journey through the air was a formidable difficulty. He successfully defended his views against an objection raised by the Duchess of Newcastle. That clever and eccentric lady, the authoress of many "fancies," philosophical and poetical, asked him where she was to bait her horses if she undertook the journey. "Your Grace could not do better," he replied, "than stop at one of your castles in the air." In his treatment of the difficulties caused by the apparent conflict between certain passages of Scripture and the conclusions of Astronomical Science, which he accepts, he anticipates in a remarkable way that explanation of them which rests on the understanding of the meaning of the Bible and of the nature of inspiration.“[28]

Damit wäre nicht bloß aus heutiger Sicht ein Widerspruch zwischen Wissenschaft und staatlicher Religion vorhanden, er wäre nicht konstruiert. Allerdings ist das Buch von Wright-Henderson aus dem Jahre 1910 und damit auch keine Quelle aus dem 17. Jahrhundert. Weiter hilft Schopenhauer mit seinen Gedanken über den englischen Empiristen George Berkeley:

„Ueberhaupt legte sein geistlicher, sogar bischöflicher Stand ihm zu schwere Fesseln an und beschränkte ihn auf einen beengenden Gedankenkreis, gegen er nirgends anstoßen durfte, sondern, in seinem Kopfe, Wahres und Falsches lernen mußte, sich zu vertragen, so gut es gehn wollte. […]“[29]

Es ist also auch zu bedenken, welchen (Denk-)Tradionen Wilkins entstammt. Zieht man also Wilkins Stellung und Stand in Betracht, so kann es sein, dass jeglicher Widerspruch zwischen seinen Gedanken und der staatlichen Zensur konstruiert ist. Wilkins schreibt zwar von den Gefahren, die man haben konnte, wenn man der Bibel widersprach, nichtsdestotrotz veröffentlichte er sein Werk mit beinahe nichts mehr als dem Hinweis, die Bibel habe eine andere Intention als eine naturphilosophische. Also ist zunächst keine Aussage darüber zu treffen, welchen Einfluss die Zensur auf sein Werk im Jahr 1638 hatte.

Vergleich: An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language

Das deutlich bekanntere Werk von John Wilkins, An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language, beschäftigt sich mit der Schaffung einer künstlichen Universalsprache für Gelehrten, Diplomaten, Händler und Reisende. Wilkins begann mit diesem Buch 1662, inspiriert durch den Kontakt mit Kollegen in der Royal Society, und er veröffentliche es 1668, zwei Jahre nach dem großen Brand in London, unter dem sein Werk auch litt. Damit fiel die Schaffenszeit in die Phase der Restauration der englischen Monarchie nach Cromwells Tod 1658 und auch in die Zeit wieder schärfer werdenden Zensurregelungen, nachdem in den im Jahrzehnt zuvor die Presse eine große Freiheit genoss. Auch für dieses Buch benötigte Wilkins eine Lizenz, doch erscheint dieser Inhalt deutlich weniger brisant. Es erscheinen Einordnungen und Erläuterungen diverser Termini in sein System, wie God, Angel, Soul usw., aus einer erwartbaren christlichen Perspektive, aber nicht notwendig als solche erkennbar: Die Entität, die Philosophen bezeichnen mit „the first Mover, the first and supreme cause of all things, and suppose to be a Being of all possible perfections, is GOD, Lord, Jehovah, […]“[30]

Dieses Buch sagt damit praktisch nichts darüber aus, wie sehr der Schaffensprozess von einer Zensur beeinflusst wurde: Der Inhalt erscheint nicht anstößig, aber in diesem Kontext ist anstößiger Inhalt auch nicht erwartbar. Eine Selbstzensur ist hier somit auch nicht bedenkenswert. Allerdings ist dieses Buch im Zusammenhang mit der Royal Society entstanden, wie im Buch selbst auf der ersten Seite mit der Nennung des Druckers bekannt wird, und damit wird, wenn die Korrespondenz über dieses Buch zu Rate zieht, offensichtlich, dass der Austausch von Meinungen in kleineren Kreisen von der Zensur unbeeinträchtigt geblieben ist:

„Dr. Wilkins his Book I have perused & judge well of it. The thing doubtless is fesible, that is, that a Philosophicall Language may be contrived, explicable either by sounds, by letters, or by other marks: which may have many advantages of any language yet extent. […] However; what he hath done may be of very good use […]“[31]

Dieser Brief ist kein Beispiel für die Manuskriptzirkulation, die es auch gab, und die die Zensur unterlief; dieser Brief ist etwa drei Monate nach dem Druck im April 1668 von John Wilkins Universalsprache-Buch verfasst worden. Vor der Veröffentlichung gab es allerdings im November 1667 einen schriftlichen Austausch über das Buch zwischen Thomas Fairfax, 3. Lord Fairfax of Cameron, und Henry Oldenburg:

„It shall be a prised favor, if yu will pleas at leisure, to give me some short hints concerning ye way of Dr Wilkins’s Univ. language, (wch Mr Spratt has set ye world on longing for,) & wn we may be so happy as to find it abroad.“[32]

Ebenso findet sich in der Korrespondenz von Henry Oldenburg noch vor der Entstehung von An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language der Beleg dafür, dass eine Universalsprache in Wilkins Umfeld thematisiert wurde:

„If Mr Dalgarnos papers speake only of his dessein for an universal caracter, without particularising the manner thereof, I think, it will be no news to me; and I have more confidence in Dr Wilkins for ye compassing it to usefulness, yn in any other.“[33]

Zudem wäre es überraschend, wenn im engsten Kreis der Mitglieder der Royal Society kein Austausch über wissenschaftliche Themen stattfinden würde. Das bedeutet, dass die Zensur zwar den Druck kontrollieren konnte, aber nicht gänzlich den wissenschaftlichen Austausch – über das Thema der Universalsprache.

Vergleich: Areopagtitica

Während auf der Seite der Zensoren Krone und Kirche stehen, so scheint aus heutiger Perspektive jeder Bezug auf einen Gott oder die christliche Religion auf Seiten der Zensierten ein Akt der Selbstzensur, des vorauseilenden Gehorsams zu sein. Einer der bekanntesten Kämpfer gegen die Vorzensur war John Milton. Seine Publikation Areopagtitica aus dem Jahre 1644 beinhaltet viele Argumente gegen die Vorzensur und diese fußen mehrheitlich auf einer religiösen Weltanschauung. Wenn er schreibt „READ ANY BOOKS WHATEVER COME TO THY HANDS, FOR THOU ART SUFFICIENT BOTH TO JUDGE ARIGHT AND TO EXAMINE EACH MATTER“[34], dann ist auch dies letztlich religiös begründet. Während Milton auch weltanschaulich neutrale Argumente gegen die Vorzensur findet, wie ihre praktische Nutzlosigkeit und Schaden an der Wahrheitsfindung, ist sein größtes Argument doch wieder ein religiöses: Gottes großer Plan könnte dadurch gefährdet sein, dass Zensoren bzw. Lizenzgebern die Autorität verliehen wird, andere zum Schweigen zu bringen – durch die faktische Ausübung ihrer Macht, in dem sie eine Lizenz nicht vergeben, oder durch den Abschreckeffekt oder vorauseilenden Gehorsam.

Die Frage, ob die bekannteste Schrift gegen die englische Vorzensur[35] aus vorauseilendem Gehorsam mit der Religion argumentiert, oder die Religion unabhängig von der Zensur Bestandteil Miltons Werk ist, bleibt hier, wie bei Wilkins, offen.

Fazit

Zensur, besonders die Vorzensur, bringt es mit sich, dass Schriftstücke nur dann oft und effizient reproduziert werden, wenn sie im Einklang mit den Maßgaben der Zensoren bzw. der zensierenden Autorität stehen. Daher eignen sich gedruckte Werke kaum, um die Wirkung der Zensur zu untersuchen. Um den Unterschied zwischen Zeitgeist und Druckerzeugnissen herauszudestillieren, bedarf es Quellen, die den Zeitgeist, die Gedanken der Zeit dokumentieren, ohne durch die Mechanismen der Presse direkt beeinflusst zu sein. Mit der heutigen Perspektive ist es nur allzu leicht, die Unterschiede, welche heutzutage gemacht werden, auch in die Vergangenheit, in das 17. Jahrhundert hineinzuinterpretieren. Mit dieser Perspektive kann jede Erwähnung von Religion in einem wissenschaftlichen Dokument eine Kapitulation, wenigstens ein vorauseilender Gehorsam gegenüber der Vorzensur sein. Und auch, wenn eine Quelle sich gegen die Vorzensur richtet, und dennoch in ihr bestehen muss, so gibt das nicht Auskunft darüber, ob und wieweit es Veränderungen am Werk gegeben hatte oder geben mussten – und auch die Gründe dafür wären offen.

Im Rahmen einer größeren Arbeit wären mehr persönliche Korrespondenzen, Tagebücher und Ähnliches nötig, da Dokumente dieser Art, wenigstens verlässlicher, Gedanken der Zeit darlegen.

Von den Gefahren, in Briefen bestimmte Inhalte zu übermitteln, sprach Henry Oldenburg in seinem Brief an den niederländischen Aristokraten Boreel am 13. Dezember 1660, als er nicht näher auf Cromwells Freunde eingehen wollte. Auch Tagebücher oder Manuskripte waren vor der Company und ihren Hausdurchsuchungen nicht sicher, sodass die Zensur auch auf diese Dokumente einen Einfluss gehabt haben muss. Dennoch erweisen sich diese Quellen, sofern verfügbar, als nützlicher als die Veröffentlichungen, da Publikationen strenger kontrolliert wurden. Sie dokumentieren besser, wie die gedruckten Werke entstanden sind, und zeigen, dass die Zensur auf einen wesentlichen Teil der wissenschaftlichen Kommunikation keinen direkten Zugriff hatte. Allerdings liegen dieser Arbeit keine persönlichen Aufzeichnungen oder Korrespondenzen zugrunde, die die Entstehung von Wilkins kritischerem Werk World in the Moone aufdecken könnten. Möglicherweise wären gerade solche Dokumente erhellend.

  • [1a] John Milton, Areopagitica. a Speech for the Liberty of unlicensed Printing to the Parliament of England, 1644 London.
  • [1b] Martin Carrier, Wissenschaft, in: Lexikon Philosophie. 100 Grundbegriffe, Stuttgart (Reclam) 2011, S. 312.
  • [2] F.A. Brockhaus GmbH, Der Brockhaus in fünf Bänden, Wuppertal 2004, S. 5391.
  • [3] Vgl. Robin Myers/Michael Harris (Hrsg.), Censorship and the Control of Print in England and France 1600-1910, Hampshire 1992, S. vii.
  • [4] Vgl. Robert Darnton, Die Zensoren. Wie staatliche Kontrolle die Literatur beeinflusst hat. Vom vorrevolutionären Frankreich bis zur DDR. Aus dem Englischen von Enrico Heinemann, München 2016, S. 13.
  • [5] Vgl. E Pluribus Unum Project, The Dangerous Lives of Printers: The Evolution of Freedom of the Press, < http://www1.assumption.edu/ahc/1770s/ppressfree.html>.
  • [6] Vgl. Milton, Areopagitica.
  • [7] Newes from Hell, 1606, Non-Dramatic Works, II, 84, zitiert nach: Sandra Clark, The Elizabethan Pamphleteers: Popular Moralistic Pamphlets 1580-1640, London 2015.
  • [8] Vgl. Sheila Lambert, State control of the press in theory and practice: the role of the Stationers‘ Compagny before 1640, in Myers/Harris, Censorship and the Control of Print, 12/15.
  • [9] Vgl. Lambert, State control of the press, 10.
  • [10] Vgl. Lyman Ray Patterson, Copyright in Historical Perspective, Nashville (Vanderbilt University Press) 1968, S. 43.
  • [11] Vgl. Lambert, State control of the press, 11.
  • [12] Vgl. Lambert, State control of the press, 5 f.
  • [13] Vgl. Lambert, State control of the press, 6.
  • [14] Vgl. Milton, Areopagitica.
  • [15] Vgl. Cyndia Susan Clegg, Press Censorship in Jacobean England, Cambridge 2004, S. 69.
  • [16] Hilary Gatti, Giordano Bruno and Renaissance Science, London 1999, S. 117.
  • [17] W. Neile an Henry Oldenburg, 15. Dezember 1667, in: Henry Oldenburg, The correspondence of Henry Oldenburg, Edited and translated by A. Rupert Hall and Marie Boas Hall, Band 4, Madison 1967, S. 54 f.
  • [18] W. Neile an Henry Oldenburg, 15. Dezember 1667, I, 74.
  • [19] Vgl. Pauline Phemister/Stuart Brown, Leibniz and the English-speaking world, Dordrecht 2007, S. 64.
  • [20] John Wilkins, The discovery of a world in the moone, or, a discourse tending to prove that ’tis probable there may be another habitable world in that planet, London 1638,S. 6.
  • [21] Wilkins, discovery of a world in the moone, 80.
  • [22] Wilkins, discovery of a world in the moone, Preface.
  • [23] Henry Oldenburg an Boreel, 13. Dezember 1660, I, 404 ff.
  • [24] Vgl. Robert K. Merton, Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen, übersetzt von Reinhard Kaiser, Frankfurt 1985, S. 57.
  • [25] Vgl. Lambert, State control of the press, 18.
  • [26] Wilkins, discovery of a world in the moone, 34.
  • [27] Wilkins, discovery of a world in the moone, 37.
  • [28] Patrick A. Wright-Henderson, The Life and Times of John Wilkins, London 1910, S. 80.
  • [29] Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke in fünf Bänden: Band IV und V: Parerga und Paralipomena. Suhrkamp, Frankfurt 1986, S. 19.
  • [30] John Wilkins, An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language, London 1668, S. 51.
  • [31] Joh. Wallis an Henry Oldenburg, 6. Juli 1668, IV, 508.
  • [32] Fairfax an Henry Oldenburg, 26. November 1667, III, 623.
  • [33] Henry Oldenburg an Samuel Hartlib, 6. Juli 1659, I, 271.
  • [34] Milton, Areopagitica.
  • [35] Die in diesem Zusammenhang wesentliche Frage, ob sein Werk eine Lizenz bekam oder bekommen musste, konnte im Rahmen dieser Hausarbeit nicht geklärt werden, da der dazu nötige Druck bzw. Scan eines Drucks aus dem Jahre 1644 nicht zugänglich war. Allerdings spricht viel dafür, dass es in dieser Zeit aufgrund der politischen Instabilität keine effektiven Kontrollen gab, vgl. E Pluribus Unum Project, The Dangerous Lives of Printers.