Anne Phillips: Argumente für einen höheren Anteil an Frauen in Parlamenten

  • Von Michael Crass
  • 2. Juni 2018

Die Feministin Anne Phillips behandelt in "Democracy and Representation: Or, Why Should it Matter Who our Representatives Are? " die Frage, ob es wichtig für Frauen bzw. die Demokratie (oder unseren demokratischen Idealen entsprechend) ist, ob Frauen durch Frauen repräsentiert werden. Dabei behandelt sie unter anderem Hanna Pitkins hierfür zentrale These, dass es wichtiger ist, wie Repräsentanten handeln, als wer sie sind.

Anne Phillips: pro höheren Anteil von Frauen in Parlamenten

Die Autorin meint, dass es wichtig ist, den Anteil der Frauen in den gewählten Institutionen zu erhöhen – für die Demokratie und insbesondere die Frauen (und ihre Interessen). Dabei wendet sie sich ein Stück weit von Pitkin ab, weil Repräsentanten eben auch handeln, wie sie handeln, weil sie sind, wer sie sind.

Anne Phillips nennt vier Argumente, die für ihre These landläufig gefunden werden können: Erstens ist jede Frau in einer politischen Position ein weiteres Vorbild für junge Frauen, zweitens ist es eine Sache der Gerechtigkeit, drittens werden nur so Interessen der Frauen berücksichtigt, und viertens würde dies die Demokratie beleben und das Missverhältnis zwischen Repräsentation und Partizipation beheben (was merkwürdig ist, da die Autorin dafür argumentiert, dass Repräsentation unbedingt als Partizipation gesehen werden muss).

Zu eigen macht sie sich die Autorin eigentlich nur zwei dieser vier Argumente. Nummer vier dient mehr als ein pathetischer Anstrich, der ihr und ihren Mitstreitern helfen soll. Sie meint zwar, dass Frauen sich in der Politik etwas anders verhalten als Männer, sieht aber darin selbst kein starkes oder wirklich sinnvolles Argument für einen höheren Anteil von Frauen in Parlamenten. Argument Nummer eins findet Phillips selbst uninteressant – jedenfalls in einem politikwissenschaftlichen Kontext.
Also zu Argument Nummer zwei: Es sei eine Sache der Gerechtigkeit, wenn Frauen stärker repräsentiert wären. Die Autorin meint, dass ohne Hindernisse eine Gleichverteilung in politischen Institutionen zwischen Geschlechtern/Ethnien usw. zu erwarten wäre (und zieht dabei mögliche signifikante Präferenzunterschiede zwischen Geschlechtern scheinbar nicht in Betracht). Prämisse zwei ist, dass es signifikant weniger Frauen in Parlamenten als in der Gesellschaft gibt. Ihr Schluss ist, dass Frauen Rechte verwehrt werden. Die strukturelle Diskriminierung sei der offensichtlichste Grund, etwas zu ändern.

Phillips diskutiert, ob es für die Interessen der Frauen wirklich notwendig ist, dass Frauen Frauen repräsentieren (Punkt drei), und zieht dabei einen vielleicht etwas unglücklichen Vergleich, in dem sie impliziert, dass Arbeiter dumm oder bösartig sind:

„We do not normally consider the interests of lunatics as best represented by people who are mad, and 'while we might well wish to complain that there are not enough representative members of the working class among Parliamentary representatives, we would not want to complain that the large class of stupid or maleficent people have too few representatives in Parliament“

Obwohl sie Pitkins zustimmt und auch meint, dass mehr die Handlungen als die Gruppenzugehörigkeiten von Repräsentanten bedeutsam sind, sieht sie, dass die Interessen von Frauen nicht von den Handlungen der Repräsentanten abgebildet werden, und sich empirisch zeige, dass hier eben doch die Identität der Repräsentanten bedeutsam ist:

"If, however, the interests are varied, unstable, perhaps still in the process of formation, it will be far more difficult to separate out what is to be represented from who is to do the representation. The greater problems arise, that is, where interests are not so precisely delineated, where the political agenda has been constructed without reference to certain areas of concern, or where much fresh thinking is necessary to work out the appropriate policies. To this extent, the very difficulties in defining what are in women's interests strengthen the case for more women as representatives."

Im Falle der Frauen meint Phillips also, dass die Interessen der Repräsentierten schwierig zu repräsentieren wären, wenn die Repräsentanten nicht auch Frauen wären.

Kritik

Anne Phillips fordert keineswegs eine Frauenquote als ein gesetzliches Mittel, sondern argumentiert schlicht und einfach sachlich dafür, warum es besser ist, einen höheren Anteil an Frauen in Parlamenten zu haben. Letztlich hat sie dafür zwei Argumente. Einen Verstoß gegen die Gerechtigkeit sieht sie in einem geringen Frauenanteil, weil sie vermutet, dass normalerweise der Frauenanteil in Gesellschaft und politischen Institutionen in etwa gleich sein müsste – über einen gewissen Zeitraum wenigstens statistisch. Das erscheint plausibel, zieht allerdings nicht in Betracht, dass möglicherweise größere Unterschiede in Interessen zwischen Geschlechtern bestehen könnten - worauf auch die geschlechtlichen Unterschiede in Parteimitgliedschaften hindeuten. Darauf könnte man allerdings gut einwenden, dass Frauen möglicherweise nicht uninteressiert an Politik im Allgemeinen sind, sondern eben bloß an der Politik, den politischen Strukturen und Verfahren, die nicht einfach vom Himmel gefallen sind, sondern von Männern geschaffen wurden. Vielleicht sähe eine weibliche Politik, ein weibliches politisches System einfach anders aus, und würde Frauen eher zu einer politischen Karriere reizen. Somit hätte Anne Phillips sicher einen guten Punkt.

Auch das zweite starke Argument von Anne Phillips bereitet zunächst Schwierigkeiten: Wenn zwar prinzipiell, wie auch Pitkin meint, die Identität der Repräsentanten keine Rolle spielt, aber im Falle der Frauen eben doch, weil ihre Interessenlage eine besondere sei, so stellt sich die Frage, wie es denn mit Minderheiten aussieht, wie etwa mit Blinden? Könnten die Interessen der Blinden von Sehenden gut repräsentiert werden, oder sind die Interessen der Blinden auch so schwierig zu fassen, dass man sich um einen höheren Blindenanteil in Parlamenten bemühen sollte? Und was ist mit jungen Menschen, was ist mit Minderheiten wie Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen oder Identitäten? Phillips setzt sich (in diesem Text) nicht mit solchen, unmittelbar folgenden Fragen auseinander. Doch diese wären zu beantworten, oder wenigstens auch zu stellen. Doch damit ist dies nicht nur ein Thema des Feminismus, sondern auch ganz speziell eines der Demokratie: Was kann eine repräsentative Demokratie leisten?


Literatur: Anne Phillips (1998), „Democracy and Representation: Or, Why Should it Matter Who our Representatives Are?“, in: Dies. (Hrsg.), Feminism and Politics, Oxford: Oxford University Press.

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