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Schopenhauer und die besondere Zahl Vier, Teil 2/2

Im ersten Artikel zu Schopenhauers Verhältnis zur Zahl Vier ging es um die vier Arten von in Raum und Zeit erscheinende Wesen und ihre Ursachen. In diesem zweiten Artikel geht es um sexuelle Beziehungen, Elemente, die Fragen nach dem „Warum?“ und Schopenhauers vier Arten von Wahrheit.

vier Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grund

Arthur Schopenhauers Dissertation, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, widmet sich allen Fällen, in dem man „Warum?“ fragen kann. Der Satz vom zureichenden Grund lautet: „Nichts ist ohne Grund warum es sey.“ (Deu-III:7)

Nach Schopenhauer gibt es vier grundverschiedene Klassen von Objekten, die unter diesen Satz vom zureichenden Grund fallen. In der ersten Klasse geht es um die Vorstellungen in Raum und Zeit, die kausal miteinander verknüpft sind. In dieser Klasse findet sich so auch der Zusammenhang zwischen dem Erwärmen eines Steines und den dafür ursächlichen Sonnenstrahlen und der physikalischen Voraussetzung des Steines, warm werden zu können. Das erste „Warum?“ fragt also nach Ursachen von Wirkungen.

Das „Warum“ der zweiten Klasse verknüpft Begriffe miteinander. Es geht darum, warum Urteile wahr sind. Das Urteil „Alle Pariser sind Franzosen.“ könnte man mit den drei Aussagen

  • „Wer in Frankreich geboren wurde, ist Franzose.“,
  • „Pariser ist, wer in Paris geboren wurde.“ und
  • „Paris liegt in Frankreich.“

verknüpfen und so auf ein „Warum?“ antworten. Allerdings darf man jeder weiteren Aussagen wiederum mit einem „Warum?“ begegnen und eine scheinbar nie enden wollenden Kette fordern, um dann wohl bloß bei dem Münchhausen-Trilemma zu landen.

Schopenhauers dritte Klasse betrifft die „reinen Anschauungen von Raum und Zeit, die Mathematik und die Geometrie.“ In dieser Klasse fragt man nach den notwendigen Beziehungen zwischen Punkten, Winkeln und Ähnlichem in der Geometrie und ihren Gesetzmäßigkeiten.

Die vierte Klasse ist eine besondere. Sie betrifft die Kausalität „von innen“, wie er in der zweiten Auflage (!) der Dissertation schreibt. In der ersten Auflage seiner Dissertation beschreibt Schopenhauer 1813 die Objekte dieser Klasse als eine eigenständige, während er sie 1847 zwar als eigenständige, vierte, Klasse behält, aber der ersten Klasse unterordnet. Vielleicht wollte Schopenhauer seine Vierheit beibehalten. In dieser Klasse geht es um die Motive, die Schopenhauer bei den Ursachen (siehe im ersten Artikel) zweigeteilt hatte und somit dort seine vier Ursachen erhielt (Ursache, Reiz, Verstandsmotiv und Vernunftsmotiv). Fragt man in dieser Klasse nach dem „Warum?“, so erhält man die Ursache von Handlungen. Man bleibt im Bett morgens gerne etwas länger liegen, weil man müde ist; und dann steht man vielleicht doch auf, weil die Toilette ruft …

vier Elemente

Die Lehre von unteilbaren Teilchen (Atomen) ist zwar ca. 2.500 Jahre alt, doch war die Idee von den vier Elementen auch im 19. Jahrhundert noch nicht ganz vom Tisch, da es erst zu dieser Zeit zu ersten experimentellen Bestätigungen kam. So spricht also auch Schopenhauer noch 1859 von vier Elementen. (Deu-II:31)

Tetragamie

Bedauerlicherweise erscheint Arthur Schopenhauer oftmals bloß als ein Mensch, der wenig Gutes über Frauen zu sagen hatte und sie schlecht behandelte. Dass er viel Schlechtes über Frauen zu sagen wusste, bezeugt das 27. Kapitel der Parerga und ParalipomenaUeber die Weiber mit bereits häufig zitierten Stellen über dieses Geschlecht. Auch seine Biographen haben genug Material für diese Perspektive gefunden: Er warf die Frau Marquet unsanft aus dem Haus; er forderte von seiner Geliebten, Caroline Médon, ihren neun-jährigen Sohn bei einem Umzug nach Frankfurt in Berlin zurückzulassen; er wollte sich nicht um seine finanziell sehr viel schlechter gestellte Schwester kümmern; er hatte seine Mutter stets bevormunden wollen; und er zeugte zweimal, in Dresden und Frankfurt, uneheliche Töchter, die allerdings frühzeitig sterben. Dennoch hatte Schopenhauer sich auch um das weibliche Geschlecht und seine Bedürfnisse gesorgt:

Schopenhauer muss schon in seinen Berliner Jahren leidvoll festgestellt haben, dass junge Frauen nicht nur fähig seien, mehrere Männer zu beglücken, sondern auch entsprechende Bedürfnisse haben.

„Was dem Weibe an Dauer der Geschlechtstauglichkeit abgeht, hat es wieder an Maaß derselben voraus: es ist fähig 2 bis 3 tüchtige Männer zu gleicher Zeit zu befriedigen, ohne zu leiden. In der Monogamie benutzt es nur die Hälfte seiner Fähigkeit und befriedigt nur die Hälfte seiner Wünsche.“ (HNIII:161)

Ein Mann alleine würde einer jungen Frau nicht gerecht, die Monogamie sei nichts für sie. Im Alter aber würde eine Frau dem Manne nicht mehr gerecht, da sie dann „verblüht“ sei, während ein Mann noch im Alter noch zeugungsfähig und in diesem Sinne willig sei. Ein alter Mann würde also mit einer alten Frau nicht glücklich und bliebe bei höchst dringenden Bedürfnissen unbefriedigt. Schopenhauer löst dieses Problem der Natur wie ein Kaufmann, zu dem er ausgebildet worden war:

„Soll nun dies Verhältniß nach bloßer physischer Rücksicht (und es gilt ein physisches höchst dringendes Bedürfniß) geordnet und bestmöglichst ausgeglichen werden: so müssen 2 Männer stets ein Weib zusammenhaben: die sie beide jung nehmen: nachdem diese verblüht ist, nehmen sie eine 2te eben so junge dazu, welche dann ausreicht bis beide Männer alt sind. Beide Weiber sind versorgt und jeder Mann hat nur die Sorge für Eine. In der Monogamie hat der Mann auf ein Mal zu viel und auf die Dauer zu wenig; und das Weib umgekehrt.“ (HNIII:162)

Damit wäre auch die ökonomische Belastung einer Frau, die für einen jungen Mann zu groß scheint, durch zwei geteilt, während ein älterer Mann, der im Normalfall finanziell besser gestellt wäre, im Alter auch für eine Frau aufzukommen hätte. Dass der junge Schopenhauer sich überhaupt solche Gedanken machen musste, liegt für ihn an der Natur, unter der Männer und ebenso Frauen zu leiden haben:

„Wie gesagt: Die Natur hat das Verhältniß schlecht angelegt: Man wird es daher nie ohne üble Umstände einrichten. So wie es jetzt ist, streiten Pflicht und Natur unablässig. Dem Manne ist es unmöglich den Geschlechtstrieb von seinem Entstehn bis zu seinem Ende auf eine legale Art zu befriedigen. Es sei denn daß er jung Witwer würde. Dem Weibe ist die Beschränktheit auf einen Mann, die kurze Zeit ihrer Blüthe und Tauglichkeit hindurch, ein unnatürlicher Zustand. Sie soll für Einen bewahren was er nicht brauchen kann und was viele Andre von ihr begehren: und sie soll selbst bei diesem Versagen entbehren. Man ermesse es! Besonders da noch hinzukommt, daß zu jeder Zeit die Zahl der zum Beischlaf tüchtigen Männer die doppelte ist der dazu tauglichen Weiber, weshalb jedes Weib beständig Anfechtungen findet, ja schon von selbst diesen entgegensieht, sobald ein Mann ihr nahe kommt.“ (HNIII:162 ff.)

vier Arten von Wahrheit

Im fünften Kapitel der Dissertation (1847) behandelt Schopenhauer die Begriffe und Urteile als zweite Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In diesem Kapitel nennt er vier Arten von Wahrheit: logische, empirische, transscendentale und metalogische Wahrheit. (Deu-III:214 ff.)

Wenn ein Urteil (eine atomare Aussage) ein anderes zum Grund, also als Antwort auf das „Warum?“ hat, ist seine Wahrheit eine logische Wahrheit. Damit fällt das logische Schließen unter die logische Wahrheit. Wenn die Antwort auf die Frage nach dem Grund für ein Urteil empirisch ist, also auf raumzeitliche Gegenstände verweist, handelt es sich um empirische Wahrheit. Das erfordert bspw. die mit dem Blick aus dem Fenster beantwortete Frage nach dem gegenwärtigen Wetter. Die transscendentale Wahrheit behandelt die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung als Gründe. Darunter fallen alle a priori wahren Urteile, wie auch die mathematischen, geometrischen und der Satz vom zureichenden Grunde, „Nichts geschieht ohne Ursache.“ Diese dritte Art von Wahrheit scheint in Teilen besser der logischen oder metalogischen Wahrheit zuzuordnen zu sein. Die vierte Wahrheit ist die metalogische, zu welcher die wiederum vier logischen Axiome zählen, die wir nicht oder nur selten hinterfragen, aber ohne welche wir beim logischen schließen nicht vorankämen:

„1) Ein Subjekt ist gleich der Summe seiner Prädikate, oder a=a. 2) Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden, oder a=-a=0. 3) Von jeden zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten muß jedem Subjekt eines zukommen. 4) Die Wahrheit ist die Beziehung eines Urtheils auf etwas außer ihm, als seinen zureichenden Grund.“ (Deu-III:217)

Fazit

An mehreren Stellen hatte Schopenhauer sichtliche Schwierigkeiten, seine Vier aufrechtzuerhalten. Sicher war ihm die Vier nicht so wichtig, als dass er versucht hätte aus den klassischen fünf Sinnen vier zu machen oder bei anderen Themen künstlich eine Vierheit zu konstruieren. Dennoch hatte er mindestens bei zwei Sachverhalten Probleme: Zum einen ist es nicht komplett nachvollziehbar, warum er vier verschiedene Ursachenklassen braucht und künstlich zwischen den anschaulichen und den abstrakten, rein menschlichen, Motiven unterscheiden musste. Zum anderen gibt Schopenhauer in der zweiten Auflage seiner Dissertationsschrift zu, dass seine vierte Klasse eigentlich bloß die erste in der Innenschau ist. Dies ist, wenn man seine Vierheit der Ursachen, also Ursache im engeren Sinne, Reiz und die zwei Motivarten, betrachtet, die nämlich alle zur Kausalität in die Raumzeit gehören, ein notwendiger Schritt. Wohl aus ästhetischen Gründen oder mangels hinreichend großem Motiv unterlässt er die notwendige Umstrukturierung der Vier Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grunde in die Drei Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grunde. Vielleicht spielt hier aber auch eine Rolle, dass die Drei enger mit Hegel assoziiert wird. Die Tetragamie hingegen scheint weniger der Vernarrtheit in die Vier geschuldet zu sein als vielmehr einer simplen kaufmännischen Rechnung, bei der das gute Ergebnis der Aufteilung der sexuellen und ökonomischen Ressourcen eben eine Vier ist.

(Als kleine Ergänzung zur Zahl Vier bei Schopenhauer (bzw. vor ihm Heinrich Cornelius, genannt Agrippa von Nettesheim) hilft dieses Buch weiter: Schopenhauers existentielle Metaphern im Kontext seiner Philosophie von Matthias Rühl aus dem Jahr 1998 (ab S. 11))


Artikelbild: Schopenhauer von Ludwig Sigismund Ruhl - Schopenhauer-Archiv der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=394003; Pudel von H.Heuer - Selbst fotografiert, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16051575; Gesamtwerk: CC-BY-SA
Literatur: Schopenhauer-Gesamtausgabe von Paul Deussen (1911). Arthur Schopenhauer, Handschriftlicher Nachlass, herausgegeben von Arthur Hübscher.

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